Im Aufsatz 'Philosophie und Anthroposophie' von Rudolf Steiner finden wir den folgenden Text:
'Aristoteles kann hier durch Fichte ergänzt werden. Im Sinne des Aristoteles kann man zunächst zu der Formel kommen: Alles, was um uns herum ist, auch das, was unsichtbaren Welten angehört, macht es notwendig, daß wir dem Formalen der Wirklichkeit ein Materielles entgegensetzen. Für Aristoteles ist nun der Gottesbegriff eine reine Aktualität, ein reiner Akt, das heißt, ein solcher Akt, bei dem die Aktualität, also die Formgebung, zugleich die Kraft hat, ihre eigene Wirklichkeit hervorzubringen, nicht etwas zu sein, dem die Materie entgegensteht, sondern etwas, das in ihrer reinen Tätigkeit zugleich selbst die volle Wirklichkeit ist.
Das Abbild dieser reinen Aktualität findet sich nun im Menschen selbst, wenn er aus dem reinen Denken heraus zu dem Begriff des «Ich» kommt. Da ist er im Ich bei etwas, was Fichte als Tathandlung bezeichnet. Er kommt in seinem Innern zu etwas, das, indem es in Aktualität lebt, zugleich mit dieser Aktualität seine Materie mit hervorbringt. Wenn wir das Ich im reinen Gedanken fassen, dann sind wir in einem Zentrum, wo das reine Denken zugleich essentiell sein materielles Wesen hervorbringt. Wenn Sie das Ich im Denken fassen, so ist ein dreifaches Ich vorhanden: ein reines Ich, das zu den Universalien «ante rem» gehört, ein Ich, in dem Sie drinnen sind, das zu den Universalien «in re» gehört, und ein Ich, das Sie begreifen, das zu den Universalien «Post rem» gehört. Aber noch etwas ganz Besonderes ist hier: für das Ich verhält es sich so, daß, wenn man sich zum wirklichen Erfassen des Ich auf-schwingt, diese drei «Ichs» zusammenfallen. Das Ich lebt in sich, indem es seinen reinen Begriff hervorbringt und im Begriff als Realität leben kann. Für das Ich ist es nicht gleichgültig, was das reine Denken tut, denn das reine Denken ist der Schöpfer des Ich. Hier fällt der Begriff des Schöpferischen mit dem Materiellen zusammen, und man braucht nur einzusehen, daß wir in allen anderen Erkenntnisprozessen zunächst an eine Grenze stoßen, nur beim Ich nicht: dieses umfassen wir in seinem innersten Wesen, indem wir es im reinen Denken ergreifen.
So läßt sich erkenntnistheoretisch der Satz fundamentieren, «daß auch im reinen Denken ein Punkt erreichbar ist, in dem Realität und Subjektivität sich völlig berühren, wo der Mensch die Realität erlebt». Setzt er da ein und befruchtet er sein Denken so, daß dieses Denken von da aus wiederum aus sich herauskommt, dann ergreift er die Dinge von innen. Es ist also in dem durch einen reinen Denkakt erfaßten und damit zugleich geschaffenen Ich etwas vorhanden, durch das wir die Grenze durchdringen, die für alles andere zwischen Form und Materie gesetzt werden muß.
Damit wird eine solche Erkenntnistheorie, die gründlich vorgeht, zu etwas, das auch im reinen Denken den Weg zeigt, in die Realität hinein zu gelangen. Geht man diesen Weg, so wird man schon finden, daß man von da aus in die Anthroposophie hineinkommen muß. '(GA 35)
Dieser Text scheint vielleicht schwierig zu erfassen. Aber durch die vorhergehenden Gedanken, in den vergangenen Wochen, sollten sie allmählich kristallklar werden können. In der nächsten Woche werde ich einen Versuch wagen, diese Kristallklarheit zu beschreiben.
Aristoteles durch Fichte ergänzt Von Mieke Mosmuller