Home
>
Blog
>
Aristoteles und das Böse

Aristoteles und das Böse

Von

Mieke Mosmuller

09-03-2016 3 Kommentare Print!

Für Aristoteles ist das Gute die Aktualität. Die Potentialität trägt in sich verschiedene Abirrungen, und in der Ethik beschreibt er, dass das Gute immer ein Mittelding zwischen zwei Übermaße ist, ein zu viel und ein zu wenig. Hier haben wir das Zitat aus der Metaphysik über die Aktualität.


In diesem Text wird in einer rein denkenden Weise die Idee des Vollkommenen entwickelt, mit daraus hervortretend die Möglichkeit der Unvollkommenheit. Es ist nicht nur ein lehrreiches Stück Denkwerk, es gibt, wenn man den Inhalt erlebt auch die Erinnerung an das Grundprinzip der reinen Aktualität - den Urgrund unserer Existenz. Was Zarathustra 'zeruana akarena' nannte, ist hier Aktualität. Die Aktualität muss nicht in den gesonderten, geschaffenen Dingen gesucht werden, sondern in demjenigen was schon da war, bevor die Potentialität entstanden ist. In der Potentialität liegen die Gegensätze. Die Aktualität kennt keine Möglichkeit, sie kennt nur die Wirklichkeit.

Aktualität als das reine Gute.

'In manchen Fällen nun ist dem Vermögen gegenüber das letzte bloß der wirkliche Gebrauch, so dem Sehvermögen gegenüber das wirkliche Sehen, und es gibt kein anderes Werk, das von dem Sehvermögen hervorgebracht würde außer dem Sehen. In anderen Fällen dagegen wird noch etwas hervorgebracht außer der Tätigkeit; so von der Baukunst neben der Tätigkeit des Bauens das Gebäude, in jenem Falle ist gleichwohl der Gebrauch des Vermögens deshalb nicht weniger Zweck, weil er mit der Tätigkeit zusammenfällt; in diesem ist er wenigstens in höherem Grade Zweck als das Vermögen. Denn die Tätigkeit des Bauens ist gleichsam aufbewahrt in dem was gebaut wird; sie vollzieht sich und existiert zugleich mit dem Gebäude. In allen den Fällen nun, wo neben dem Gebrauche des Vermögens noch ein anderes da ist, das hervorgebracht wird, liegt die Aktualität in dem Hervorgebrachten: so hat das Bauen seine Aktualität in dem Gebauten, das Weben in dem Gewebten, und ebenso ist es in den übrigen Fällen; überhaupt hat die Bewegung ihre Aktualität in dem bewegten Gegenstand, in den Fällen dagegen, wo es nicht neben der Tätigkeit noch ein fertiges Werk gibt, liegt die Aktualität in dem Träger des Vermögens selbst; so das Sehen in dem Sehenden, das Verstehen in dem Verstehenden, das Leben in der Seele, und so gilt es auch von der Glückseligkeit, die nur ein Leben von besonderer Beschaffenheit ist.

Es wird dadurch klar geworden sein, daß das Wesen und die Form Aktualität sind. Demnach ist es auch unter diesem Gesichtspunkte klar, daß die Aktualität dem Wesen nach der Potentialität vorangeht, und wie wir gesagt haben: jeder Aktualität geht der Zeit nach eine andere Aktualität vorher, bis man zu dem gelangt, was ewig das ursprüngliche Prinzip aller Bewegung ist.

Aber das gilt nun auch in einem noch höheren Sinne. Das Ewige ist dem Wesen nach früher als das Vergängliche, und nichts was ewig ist, hat bloß potentielles Sein. Der Grund ist dieser: Jedes Vermögen ist das Vermögen des einen und des Gegenteils zugleich. Was nun überhaupt keine Möglichkeit der Existenz hat, das würde in keinem Falle existieren; was aber diese Möglichkeit hat, das hat auch die Möglichkeit, nicht wirklich zu werden. Also hat das, was bloß potentiell ist, ebensowohl die Möglichkeit nicht zu sein wie die zu sein, und es ist eines und dasselbe, was die Möglichkeit hat zu sein und nicht zu sein. Von dem aber, was die Möglichkeit hat nicht zu sein, gilt es, daß es möglicherweise nicht ist. Was aber möglicherweise nicht ist, das ist vergänglich, sei es schlechthin vergänglich, sei es in der bestimmten Beziehung vergänglich, in welcher für dasselbe die Möglichkeit offen bleibt, daß es nicht sei, also z.B. in Beziehung auf den Ort oder auf die Quantität oder auf die Qualität. Vergänglich schlechthin aber heißt das, was seinem ganzen Dasein nach vergänglich ist. Was also schlechthin unvergänglich ist, das kann nichts schlechthin Potentielles sein; aber allerdings nichts hindert, daß es in bestimmter Beziehung potentiell sei, z.B. nach bestimmter Qualität oder nach bestimmter Örtlichkeit in jeder anderen Beziehung also ist es aktuell.

Ebensowenig nun wie das was ewig ist kann das was notwendig ist potentiell sein. Das Notwendige aber ist doch das Ursprüngliche; denn wäre dieses nicht, so wäre überhaupt nichts. Also kann auch die Bewegung, falls es ewige Bewegung gibt, nicht potentiell sein, und ebensowenig kann ein Bewegtes, wenn es ewig ist, nur der Potentialität nach ein Bewegtes sein; es sei denn in bezug auf das Woher und Wohin. Daß es eine Materie dafür gebe in bezug auf die Richtung der Bewegung, das ist allerdings nicht ausgeschlossen. Deshalb kommt der Sonne und den Gestirnen und kommt dem Universum überhaupt ewige Aktualität zu, und man braucht sich nicht bange machen zu lassen, daß der Himmel einmal zum Stillstand kommen möchte, wie die Naturgelehrten besorgen. Es kostet diesen Wesen auch keine Mühe, was sie leisten. Denn ihre Bewegung beruht nicht darauf, daß das eine ebensowohl wie sein Gegenteil möglich ist, wie bei den vergänglichen Dingen, so daß ihnen die Kontinuität der Bewegung zu erhalten eine Anstrengung verursachte. Daß solche Anstrengung sonst für die Dinge erforderlich ist, das liegt daran, daß ihr Wesen Potentialität und Materie, nicht Aktualität ist.

Ein Abbild des Unvergänglichen nun bietet auch das, was in steter Veränderung begriffen ist wie Erde und Feuer; denn auch dieses ist in beständiger Tätigkeit und hat die Bewegung an sich und in sich. Die anderen Vermögen aber sind sämtlich, wie früher nachgewiesen worden ist, Vermögen zu dem einen wie zum Gegenteil, und was sich in dieser Weise zu bewegen vermag, das hat auch das Vermögen, sich nicht in dieser Weise zu bewegen. Gilt dies von dem Vermögen, das mit Vernunft verbunden ist, so werden dagegen die Vermögen, die nicht mit Vernunft verbunden sind, sich immer gleich verhalten, je nachdem die entgegengesetzten Bedingungen, das was die Wirkung übt und das was sie erleidet, eintreten oder nicht.

Wenn demnach Wesen als selbständige Existenzen von der Art bestehen wie die Verselbständiger der Begriffe sie als Ideen aufstellen, so wäre die Folge, daß es etwas gibt, was viel mehr wissenschaftliche Erkenntnis besäße als die Idee der Erkenntnis selber, und etwas, was viel mehr bewegt wäre als die Idee der Bewegung selber. Denn jene konkreten Dinge hätten einen höheren Grad von Aktualität, die Ideen aber stellten die bloße Potentialität zu ihnen dar.

Daß die Aktualität der Potentialität und jedem Prinzip der Veränderung vorangeht, ist so unser gesichertes Ergebnis. Daß aber auch der Potentialität als dem Vermögen zum Guten gegenüber die Aktualität das Höhere und Wertvollere ist, geht aus folgender Erwägung hervor. Was nach dem ihm innewohnenden Vermögen bezeichnet wird, hat als eines und dasselbe das Vermögen zu dem Einen und zum Entgegengesetzten; so hat eben dasselbe, von dem das Vermögen gesund zu sein ausgesagt wird, auch die Möglichkeit krank zu sein, und beide Möglichkeiten hat es zugleich. Denn eigentlich ist es eine und dieselbe Möglichkeit, die Möglichkeit gesund und die krank zu sein, zu ruhen und sich zu bewegen, zu bauen und einzureißen, aufgebaut zu werden und einzustürzen. Während also das Vermögen zu Entgegengesetztem zu gleicher Zeit besteht, ist es ausgeschlossen, daß das Entgegengesetzte zugleich wirklich sei; ausgeschlossen also ist auch das Zugleichsein von wirklichen Zuständen wie Gesundsein und Kranksein. Nun kann das Gute notwendig nur das eine der beiden entgegengesetzten sein, schließt also das Schlechte aus, während das Vermögen ebenso das Vermögen zum Guten wie zum Schlechten oder zu keinem von beiden ist. Mithin ist die Aktualität das Bessere. Und ebenso ist denn auch notwendigerweise, wo das Schlechte in Betracht kommt, die Vollendung und die Aktualität der Potentialität gegenüber das Schlechtere. Denn solange etwas bloß potentiell ist, sind bei demselben beide Gegensätze, das Gute wie das Schlechte, möglich. Es ergibt sich daraus auch dies, daß das Schlechte nicht etwas Selbständiges neben den Dingen ist. Denn das Schlechte ist von Natur später als das Vermögen, das ebenso das Vermögen zum Guten wie zum Schlechten ist. In den obersten Prinzipien und in dem Ewigen ist mithin kein Platz für das Schlechte, kein Verfehlen noch Verderbnis. Denn auch die Verderbnis gehört zu dem Schlechten.
Der Weg durch die Aktualität ist es auch, auf dem man die Eigenschaften der geometrischen Gebilde findet. Man findet sie nämlich durch Linienziehen. Wären die Linien schon gezogen, so läge der Satz schon offen zu Tage; aber die Linien sind zunächst bloß potentiell vorhanden. Warum z.B. beträgt die Winkelsumme im Dreieck 2 Rechte? Weil die Winkel um einen Punkt gleich 2 Rechten sind. Wäre nun die Parallele zu der einen Seite schon gezogen, so wäre die Sache auf den ersten Blick klar. Oder warum ist ganz allgemein der Winkel im Halbkreis ein rechter? Weil, wenn wir drei gleiche Linien haben, von denen zwei die Basis bilden und die dritte von dem Mittelpunkt zum Scheitel des Winkels gezogen ist, ein Blick auf die Figur dem, der Bescheid weiß, die Sache klar macht. Es wird also offenbar der Satz gefunden, indem das potentiell Vorhandene zur Aktualität gebracht wird. Der Grund ist der, daß die Aktualität Gedanke ist. Die Potentialität stammt also aus der Aktualität, und deshalb gelangt man zur Erkenntnis durch ein Wirklichmachen. Denn die Aktualität als die zahlenmäßige Bestimmung ist im Vorgang des Erkennens das Spätere.'

Aristoteles und das Böse
AristotelesAristoteles und das Böse Von Mieke Mosmuller

Geben Sie einen Kommentar





Kommentare
  • Von jozef @
    moeilijk allemaal Mieke;er zijn in deze tijd meer heldere uiteenzettingen over dit soort onderwerpen of teminste verstaanbaar voor de mens van deze tijd.Of zou het kunnen dat de griekse interpretatie al zo sterk afweek van de bron dat het slechts voor enkelingen direct begrijpbaar is?
    • Von Mieke Mosmuller @
      Ja het is moeilijk voor ons luie denken om in dergelijke gedachten actief te worden. Maar voor mij is dit denken steeds de uitdaging om het in beweging te krijgen. Het is een 'vormend' denken, niet een overzichtelijk denken, dat maakt het zo moeilijk. Maar het is een geweldige oefening om tot een spiritualisering van het denken te komen. Ik citeer Steiner uit GA 175, 'Bausteine...': Man wird vielleicht am leichtesten hineinkommen gerade in die Art, wie man auf diese Weise sich nähern kann dem Mysterium von Golgatha, dem Verstehen des Mysteriums von Golgatha, wenn man sich ein Bild davon macht, wie der auf der Höhe des griechischen Denkens stehende Aristoteles sich sein Bild von der Seele machte. Denn Aristoteles ist zu gleicher Zeit der tonangebende Philosoph des ganzen Mittelalters gewesen, und von mittelalterlichen Begriffen zehrt das heutige Denken noch immer, so wenig die Leute das auch zugeben wollen. Außerdem sehen wir ja daran, daß, was in der Menschheitsgeschichte sich entwickelt hat, ein paar Jahrhunderte vor dem Mysterium von Golgatha in Aristoteles sich gezeigt hat, und daß man dann versucht hat, mit Hilfe der Ideen des Aristoteles bei den tonangebenden Geistern des Mittelalters das Mysterium von Golgatha zu begreifen. In diesen Dingen liegt etwas so außerordentlich Bedeutungsvolles, daß man wirklich sich einmal die Mühe nehmen muß, diese Dinge unbefangen anzuschauen.
  • Von Jan Boudolf @
    Inderdaad, geen gemakkelijke tekst. Men moet hem a.h.w. meenemen en losmaken uit de vorm waarin hij is gegoten, spelen met de gedachtenlijnen. Dan ontstaan soms nieuwe inzichten, ook wel vragen die niet onmiddellijk een antwoord krijgen, zoals bijvoorbeeld : of het noodzakelijke dat tevens het oorspronkelijke is, het vermogen van de schepper tot scheppen beperkt tot de potentialiteit; of dat het noodzakelijke een lagere actualiteit heeft dan het scheppend vermogen. Mogelijks bevinden de antwoorden zich in de verdere tekst van het betoog.
    Aristoteles geeft geen antwoord op de vraag naar het waarom. Hij geeft dit aan op het einde van zijn betoog door te verwijzen naar de wiskundige wetmatigheden, die zijn zoals ze zijn, en niet anders kunnen zijn dan ze zijn.
    Oerwijsheid dacht het volmaakte, de actualiteit. De potentialiteit schept de kans steeds opnieuw naar dit volmaakte te streven, de lange weg van de ontwikkeling.