Aus Rudolf Steiner, 'Okkultes Lesen und okkultes Hören':
'Dann sehen wir, wie gleichsam mit dem allmählichen Abfluten abÂnimmt die hellseherische Erkenntnis, wie selbst für diejenigen, die noch hellseherische Erkenntnis im alten Stile haben, ein Abfluten der hellseherischen Fähigkeiten eintritt, und wie mit diesem Abfluten auch die Möglichkeit aufhört, den Christus ganz in seiner wahren Wesenheit zu erkennen. Man erkennt ihn in seiner wahren Wesenheit, wenn man ihn nicht nur in seinem irdischen Wirken, sondern in seiÂner ganzen himmlischen Glorie erkennt.
Immer mehr schwand aber die Möglichkeit, Christus neben dem irdischen Dasein in seiner Himmelsglorie zu sehen. Wir sehen, daß sie schon abgeschwächt erscheint, trotz der hehren Größe der Lehre, in dem Begründer des Manichäismus. Mani weist auf den Jesus hin, aber es ist nicht ein solcher Hinweis, wie er beim naiven, primitiven, gläubigen Gemüte angebracht ist. Weil in diesem Geiste, der das Manichäertum begründete, noch altes Heilsehen war, ist das aber auch noch nicht darinnen, was wie ein Gegensatz werden kann in bezug auf die Auffassung des Christentums. Der Christus Jesus ist für den Mani ein Wesen, das nicht irdische Leiblichkeit angenommen hat, sondern das in einem Scheinleibe, gleichsam in einem ätherischen Leibe auf der Erde gelebt hat. Es findet ein Ringen mit dem Begreifen der Christus-Erscheinung statt. Warum findet dieses statt? Man findet das Ringen, hinaufzuschauen, gleichsam zu sehen, wie das Wesen des Christus herunterstieg, man hatte aber noch nicht die Möglichkeit, einzusehen, wie das herabsteigende Wesen wirklich im menschlichen Leibe Wohnung nimmt. Ein Ringen der Seele war erst notwendig, bevor dieses volle Verständnis möglich war.
Wir sehen auch die Lehre der Manichäer sich ausbreiten von Osten nach Westen, eine Lehre, welche auf der einen Seite noch hinblickt zu dem göttlichen Geiste, der herniedersteigt, hinblickt auf alles dasjenige, was die alte Weltanschauung hatte: das Durchdrungensein der Welt nicht nur mit dem physischen Wesen, das sich dem menschlichen Sinnesdasein bietet, sondern auch mit dem Wesen, das mit dem SterÂnenweben durch das Weltenall zieht. Andererseits durchdrang das Zusammenketten des menschlichen Schicksals, des menschlichen LeÂbens mit diesem kosmischen Leben die Seele des Manichäers. Tief wurzelte sich in ihm ein die Frage: Wie ist vereinbar das Böse, das im Menschenleben waltet, mit der Wirkung des guten Gottes? Tief, tief hineingeschaut in das Rätsel des Bösen hat das Manichäertum. Aber dieses Rätsel des Bösen kann uns doch nur in seiner Tiefe vor das Seelenauge treten, wenn wir es im Zusammenhange mit dem Mysterium von Golgatha aufzufassen in der Lage sind, wenn wir das Mysterium von Golgatha durchdringen mit dem Rätsel des Bösen, wie es auch der Manichäismus erstrebte.
Und wahrhaftig, gerade diejenigen, welche am tiefsten und intenÂsivsten berufen waren, ihre Seelen hinzugeben an das Verständnis des Mysteriums von Golgatha, sie haben gerungen mit dem, was noch hereinleuchtet in die neueren Zeiten von den Ãœberresten der alten hellseherischen Erkenntnis. Wir brauchen nur zu denken an einen großen Lehrer des Abendlandes, den heiligen Augustinus. Bevor er sich durchgerungen hatte zu der Erkenntnis des paulinischen ChristenÂtums, war er hingegeben an die Lehre der Manichäer. Einen größeren Eindruck machte es ihm noch, wenn er vernehmen konnte, daß herÂuntergestiegen war das göttliche Mittlerwesen aus göttlich-geistigen Sphären von Äon zu Äon. Dieses geistige Schauen überleuchtet auch für Augustinus in den ersten Zeiten seines Ringens noch die ErkenntÂnis, wie in einem fleischlichen Leibe der Christus auf der Erde WohÂnung genommen hat, und wie sich mit ihm das Rätsel des Bösen löst. Ergreifend ist es, zu schauen, wie Augustinus mit Faustus, dem beÂrühmten Bischof der Manichäer, Zwiesprache hält und nur dadurch, daß dieser Bischof nicht den nötigen Eindruck auf ihn machen kann, sich wegwendet von dem Manichäertum und sich dann zu dem pauliÂnischen Christentum hinwendet.'
In seinem Buch ,Contra Faustum’ schreibt Augustinus wie folgt, und wir können deutlich erleben, was Rudolf Steiner meinte:
'Faustus wendet sich gegen die Inkarnation Gottes aufgrund der verschiedenen Wiedergabe der Evangelisten und weil diese Inkarnation für die Gottheit ungeeignet sei. Augustinus versucht die kritischen und theologischen Schwierigkeiten zu überwinden.
1. Faustus sagt: Glaube ich an die Inkarnation? Was mich betrifft, ist dies dasjenige, wovon ich mich lange Zeit zu überzeugen versuchte, nämlich dass Gott geboren war; aber die Diskrepanz in der Genealogie von Lukas und Matthäus verwunderte mich, und ich wusste nicht, welcher ich folgen sollte. Denn ich dachte, dass es geschehen könnte, dass ich, da ich ja nicht allwissend bin, die wahre für die falsche und die falsche für die wahre halten könnte. Verzweifelt, diese Frage nicht lösen zu können, nahm ich Markus und Johannes, ebenfalls zwei Autoritäten und zugleich Evangelisten. Ich fand den Beginn von Markus und Johannes gut, denn sie sagen nichts über David oder Maria oder Josef. Johannes sagt: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott, und er meint Christus. Markus sagt: Das Evangelium von Jesus Christus, dem Sohn Gottes, als ob er Matthäus korrigieren will, der ihn den Sohn Davids nennt. Vielleicht ist jedoch der Jesus von Matthäus ein anderer als der Jesus von Markus. Darum glaube ich nicht an die Geburt von Christus.
Man löse diese Schwierigkeiten, wenn man kann, indem man die Erzählungen harmonisiert, und ich bin bereit, nachzugeben. Wie auch immer ist es kaum möglich, zu glauben, dass Gott, der Gott der Christen, in der Gebärmutter empfangen wurde.
2. Augustinus antwortete: Wenn du das Evangelium sorgfältig gelesen und fragen über die Stellen, wo du Widerspruch fandest, gestellt hättest, statt sie übereilt zu verurteilen, dann hättest du gesehen, dass das Anerkennen der Autorität der Evangelisten durch so viele gelehrte Menschen auf der ganzen Welt, trotz dieser Diskrepanz, beweist, dass mehr darin liegt, als es auf den ersten Blick scheint. Jeder kann genau wie du sehen, dass die Vorfahren von Christus bei Matthäus und Lukas verschiedene sind; weil Josef in beiden erscheint, am Ende von Matthäus und am Anfang von Lukas. Josef, das ist deutlich, kann der Vater von Christus genannt werden, weil er in gewissem Sinne der Mann der Mutter von Christus ist; und so erscheint sein Name als der männliche Repräsentant am Anfang oder Ende der Genealogie. Jeder kann wie du sehen, dass Josef bei Matthäus den einen Vater und bei Lukas den anderen hat, und so ist es auch mit dem Großvater und mit allen anderen bis zu David. Haben alle fähigen und gelehrten Männer, sichere auch lateinische Schreiber, aber unzählige Griechen, die die Heilige Schrift andächtig studiert haben, über diesen deutlichen Unterschied hinweggesehen? Natürlich haben sie ihn gesehen. Niemand kann verhindern, dass er es sieht. Aber mit Blick auf die hohe Autorität der Schrift glaubten sie, dass hier denen etwas gegeben werden sollte, die fragten, und denen verweigert, die sich ärgern; dass hier etwas gefunden werden würde von denen, die suchen, und weggenommen von denen, die kritisch sind; geöffnet werden würde denen die anklopfen und geschlossen vor denen, die widersprechen. Sie fragten, suchten und klopften; sie empfingen, fanden und gingen hinein.
...'
Hierk önnen wir sehen, wie Faustus, der Bischof de Manichäer, nicht mehr imstande ist, die tiefen Einsichten von Mani zu vertreten, und wie Augustinus mit einer verschwindenden Hellsichtigkeit mit der Frage nach der Inkarnation von Christus zu ringen beginnt. Er gibt eine Lektion in der Art und Weise, wie man mit Widersprüchen umgehen muss, wenn man sie nicht verstehen kann. in der Anthroposophie finden wir die Lösung des Rätsels der Inkarnation von Christus bis in den Leib – und müssen dann beiden hier in gewisser Weise Recht geben!
Aurelius Augustinus
Augustinus und der Manichäismus III Von Mieke Mosmuller