Im letzten Jahr habe ich in diesen Wochen im Januar über das Böse geschrieben. Nun kommt dieses Thema durch die Fragen eines guten Freundes erneut auf. Wenn wir auf die Ereignisse auf der Weltbühne blicken und versuchen, zu empfinden, was Menschen leiden müssen, die in weniger komfortablen Umständen leben als wir in Europa – trotz aller Probleme, die wir haben, auch hier –, könnte die Frage aufkommen: Warum schuf Gott diese Welt mit allem Elend und Leiden? Wäre es für den allmächtigen Gott nicht möglich gewesen, einen besseren Begriff zu bilden und eine Welt zu schaffen, in der wir uns ohne ein so weit gehendes Leiden entfalten könnten?
Ich selbst habe dies immer als eine unzulässige Frage empfunden, denn ich fühle, dass der menschliche Geist zu klein, zu beschränkt ist, um die göttlichen Gedanken überschauen zu können. Darum bewundere ich Leibniz wegen seiner Worte über die vollkommene Schöpfung Gottes:
,Die Weisen und Tugendhaften ... anerkennen nämlich, dass wir, wenn wir die Weltordnung hinreichend zu verstehen imstande wären, finden würden, wie sie alle Wünsche der Weisesten übertrifft, und wie es unmögich ist, sie besser zu machen, als sie ist.’
,In der Philosophie ist Leibniz vor allem wegen seines Optimismus bekannt, d.h. seiner Schlussfolgerung, dass unser Universum in gewissem Sinne das bestmögliche ist, das Gott geschaffen haben kann, eine Idee, die von anderen, etwa Voltaire, oft verspottet wurde. Leibniz war, zusammen mit René Descartes und Baruch Spinoza, einer der drei großen Vertreter des Rationalismus im 17. Jahrhundert. Sein Werk war Vorläufer der modernen Logik und analytischen Philosophie, aber seine Philosophie blickt auch auf die scholastische Tradition zurück, in der Schlussfolgerungen nicht durch empirischen Beweis gezogen wurden, sondern indem erste Prinzipien auf vorangehende Definitionen angewandt wurden.’ (Wikipedia, übersetzt).
Man kann sich vorstellen, dass dieser Wissenschaftler und Philosoph zu seiner optimistischen Weltsicht durch seine tiefe Erforschung der Mathematik – z.B. die Entwicklung der Differential- und Integralrechnung, aber er fand auch die binäre Mathematik – gekommen ist. Jemand, der versucht, die Weltordnung durch seinen exakten Begriff zu begreifen, muss diese Weltordnung wohl göttlich und perfekt finden. Leibniz hatte das Ideal, dass es einmal möglich sein würde, zu einem ähnlich exakten und wahren System des sozialen Lebens zu kommen – dass diese Welt eine werden könnte, in der alles so absolut wahr und vertrauenswürdig wäre, wie es die mathematische Ordnung ist. Er war sehr an der Scholastik interessiert und auch an der
,Ars magna’ des spanischen Dominikanermönches Ramon Lull (Raimundus Lullus). Er entwickelte ein großartiges System für ein Denken in richtiger Weise, sodass die Studenten lernen konnten, so wahr zu denken, wie es menschlicherseits möglich ist.
Der Zugang zur Weltordnung, den Ramon Lull und Leibniz haben, ist eine völlig andere Art, auf die Welt zu schauen, als es in unserer Zeit üblich ist. Wir betrachten die Welt mit unseren Sinnen, sehen sie durch die enorme Information, die wir über die Medien erhalten. Diese Denker jedoch hatten ein unerschütterliches Vertrauen in die Vernunft, dass diese etwas wirklich Göttliches ist und dass sie dem Menschen gegeben wird als ein Instrument, um die Weltordnung zu entdecken – auch in ihren bösen Aspekten – und um eine Art und Weise zu finden, eine Welt von Menschen zu bilden, die in diese Weltordnung passt – nicht durch eine blinde Hingabe, sondern durch ein immer perfekteres Entfalten der Vernunft. Eine Vernunft, die sich nicht aus der außerhalb des Menschen herrschenden Weltordnung entfernt, sondern die beide vereinigt, indem sie erkennt, dass sie aus derselben Quelle geboren wurden.
,Die Theodizee (Leibniz) versucht, die scheinbaren Unvollkommenheiten der Welt zu rechtfertigen, indem sie behauptet, dass sie die optimale aller möglichen Welten ist. Es muss die bestmögliche und die bestausbalancierte Welt sein, weil sie von einem allmächtigen und allwissenden Gott gemacht ist, der sich nicht entscheiden würde, eine unvollkommene Welt zu machen, wenn ihm eine bessere bekannt wäre oder ihre Existenz möglich wäre. In Wirklichkeit müssen Mängel, die in dieser Welt bestehen, in jeder möglichen Welt existieren, denn sonst hätte Gott sich entschieden, jene Welt zu schaffen, die diese Mängel nicht hätte.’ (Wikipedia, übersetzt)
Ich will nicht ein Anhänger von Leibniz sein, ich will nur zeigen, dass es Denker gibt, die der Weltordnung vertrauen, nicht aus lauter Glauben, sondern aus Einsicht in diese. Die rationalen Aspekte seines Denkens gehen meiner Einsicht nach zu weit (etwa das Gesetz von der Kontinuität in der Natur: Natura non saltum facit, Die Natur macht keine Sprünge; aber auch die Behauptung, dass Gegensätze nicht im selben Moment wahr sein können, scheint nicht in Übereinstimmung mit einem spirituellen Denken, einer spirituellen Vernunft zu stehen). Doch zugleich ist es etwas sehr Besonderes, über diesen absoluten Glauben an die menschliche Vernunft nachzudenken.
Gottfried Wilhelm von Leibniz (1646-1716)
Das Böse Von Mieke Mosmuller