Jeder Mensch kennt das Böse, wie er sich selbst kennt, denn es lässt ja keinen Menschen unberührt. Die Heiligen kennen es auch, sie kennen es ja noch besser als die ‘Sünder’, weil es in ihnen bewusst wird. Vor einigen Jahren habe ich eine Anzahl von Texten über das Böse publiziert und dabei die grossen Denker und religiösen Lehrer sprechen lassen.
Nun haben wir im vergangenen Jahrhundert einen öffentlichen Ausbruch des Bösen in verschiedenen Formen kennengelernt, Formen die noch immer weiterwirken. Darüber haben geistreiche Menschen in unserer modernen Zeit tief nachgedacht.
Hierbei wird deutlich, wie schwach die Denkmöglichkeiten sind, wenn man nicht über hellsichtiges Schauen verfügt – oder wenigstens über durch Geisteswissenschaft vertieftes Denken. Goethe entwickelte eine anschauende Urteilskraft, dass will sagen, dass die Tatsachen das Urteil bestimmen. In unserer Zeit muss jedoch ein schauendes Bewusstsein entwickelt werden, welches entsteht, wenn der Wille an die Stelle des Denkens tritt und dabei das Erkennen erhalten bleibt.
Wenn man so die Bilder anschaut, die es von den Nürnberger Prozessen und vom Eichmann-Prozess in Jerusalem gibt, dann kann man nie zum Urteil kommen, dass das damals verübte Böse eine Banalität sei.
Ich selbst habe jedenfalls nie in meinem Leben grössere Raffiniertheit angeschaut, mit der die Banalität von den Angeklagten vorgetäuscht wurde.
Im Vater-Unser wird deutlich genug, dass das wirklich Böse zu tun hat mit der bewussten Wahl im Ich. Das Brot ist da für den physischen Leib, die Schuld hängt mit dem Ätherischen zusammen, die Versuchung mit dem Astralischen – aber das Übel mit dem Ich.
In unseren irdischen Reichen können nur Menschen böse sein, den Tieren würde man das nicht vorwerfen.
Wenn auch die böse Tat mit Begierden und Wut zu tun hat, wobei das Menschliche verlorengeht, die Wahl für das Gute oder das Böse findet im Ich statt. Wir stehen erst am Anfang dieser Art des Bösen.
Franz Simm, Goethes Faust, Teufelspakt
Das Böse - 2 Von Mieke Mosmuller