Das klare Denken des jungen Rudolf Steiners nimmt die relevanten Gedanken aus dem Ganzen der Gedanken über die atomistischen Begriffe (1882) und findet, dass das Atom als das einzige Prinzip der Wirklichkeit angeschaut wird. Es liegt allen materiellen und sinnlichen Qualitäten zu Grunde, hat sie aber selbst nicht. Es ist weder räumlich, noch definiert, es ist nur ein 'etwas' und dieses etwas ist Grundlage und Essenz alles Seins. Würde man es kennzeichnen wollen, so könnte es ja keine Grundlage mehr sein, weil es Teil wäre von demjenigen was es bestimmen soll. Es muss also das merkmallose Etwas sein. Aber es kann auch nicht Begriff sein, denn es muss in der Wirklichkeit existieren. Das Atom soll etwas Spezielles sein, aber allgemein.
Rudolf Steiner erkennt die Möglichkeit an, dass es als ein brauchbares Denkmodell verwendet werden könnte. Aber so wird es nicht gesehen. Es wird für das einzig Wirkliche in der Welt genommen, weil es nun einmal das allem zu Grunde liegende Element sein soll. Es kann nicht nur ein Gedanke sein, der fachmännisch verwendet wird, es ist die Wirklichkeit an sich.
Dann führt Rudolf Steiner weiter aus:
'Wer von der Unschädlichkeit der atomistischen Vorstellungen sprechen wollte, dem könnte man ruhig die Konsequenzen, welche aus denselben gezogen worden sind, vorhalten, um ihn zu widerlegen. Es sind vorzüglich zwei notwendige Konsequenzen: erstens, daß das Prädikat der ursprünglichen Existenz an weiter ganz unbestimmte, gegeneinander schlechthin gleichgültige geistlose Einzelsubstanzen verschwendet wird, in deren Wechselwirkung nur mechanische Notwendigkeit herrscht, so daß die ganze übrige Erscheinungswelt als leerer Dunst derselben besteht und dem bloßen Zufall das Entstehen verdankt; zweitens ergeben sich daraus unüberschreitbare Grenzen unseres Erkennens. Für den menschlichen Verstand ist, wie wir gezeigt haben, der Begriff des Atomes etwas ganz Leeres, das bloße «Etwas». Da aber mit diesem Inhalte die Atomisten sich nicht zufrieden geben können, sondern einen tatsächlichen Gehalt verlangen, diesen aber so bestimmen, wie er nirgends gegeben werden kann, so müssen sie die Unerkennbarkeit des eigentlichen Wesens des Atomes proklamieren.
Bezüglich der anderen Grenze des Wissens ist folgendes zu bemerken. Wenn man das Denken auch als eine Funktion der Wechselwirkung gleichgültig gegeneinander bleibender Atomkomplexe ansieht, so ist durchaus nicht zu verwundern, warum der Zusammenhang zwischen Bewegung der Atome einer-, Denken und Empfindung andrerseits nicht zu begreifen ist, welches der Atomismus daher als eine Grenze unserer Erkenntnis ansieht. Allein zu begreifen ist nur da etwas, wo ein begrifflicher Übergang besteht. Wenn man aber vorher die Begriffe so begrenzt, daß in der Sphäre des einen sich nichts findet, was den Übergang in die Sphäre des andern ermöglichen würde, so ist das Begreifen von vorneherein ausgeschlossen. Außerdem müßte dieser Übergang ja nicht bloß spekulativer Natur, sondern er müßte ein realer Prozeß sein, sich also demonstrieren lassen. Dies wird aber wieder durch die Unsinnlichkeit der atomistischen Bewegung verhindert. Mit dem Aufgeben des Atombegriffes fallen diese Spekulationen über die Grenze unseres Wissens von selbst weg. Man muß sich vor nichts mehr als solchen Grenzbestimmungen hüten, denn jenseits der Grenze ist dann für alles mögliche Platz. Der vernunftwidrigste Spiritismus ebensosehr wie das unsinnigste Dogma könnte sich hinter solchen Annahmen verstecken. Dieselben sind in jedem einzelnen Falle ganz leicht zu widerlegen, indem man zeigt, daß immer der Fehler zugrunde liegt, eine bloße Abstraktion für mehr anzusehen als sie ist, oder bloß relative Begriffe für absolute zu halten und ähnliche Irrtümer. Eine große Anzahl falscher Vorstellungen ist namentlich durch die unrichtigen Begriffe von Raum und Zeit in Umlauf gekommen.'
Das wahre Antlitz des AtomsDas wahre Antlitz des Atoms Von Mieke Mosmuller