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Das Wahre und das Falsche bei Aristoteles Metaphysik

Das Wahre und das Falsche bei Aristoteles Metaphysik

Von

Mieke Mosmuller

16-03-2016 0 Kommentare Print!

Der Begriff des Seienden und des Nichtseienden bestimmt sich nach den Formen der Kategorien; eine weitere Modifikation des Begriffs führt der Unterschied von Potentialität und Aktualität herbei, der an den einzelnen Kategorien oder ihrem Gegenteile auftritt. Die höchste und entscheidendste Bestimmung des Seinsbegriffs aber beruht auf dem Unterschiede des Wahren und des Falschen. Dieser letztere Unterschied gilt von den Gegenständen, je nachdem in ihnen eine Verbindung oder Trennung vollzogen ist. Das Wahre hat der, der das Getrennte als getrennt und das Verbundene als verbunden denkt; das Falsche ergreift, wer eben dieses Verhältnis anders auffaßt als es in Wirklichkeit ist. So entsteht denn die Frage: wann findet sich das vor, was wir wahr oder falsch nennen, wann nicht? Diese Frage gilt es noch zu beantworten.


Zunächst also gilt offenbar dies: es ist jemand nicht deshalb in Wahrheit bleich, weil wir meinen, er sei bleich, sondern umgekehrt: weil er bleich ist, ist unsere Aussage wahr, wenn wir das von ihm aussagen. Nun gibt es Gegenstände und Bestimmungen derselben, die immer verbunden sind, so daß ihr Getrenntsein ausgeschlossen ist, und andere, die immer getrennt bleiben, und deren Verbundensein ausgeschlossen ist; anderes wieder läßt beide entgegengesetzte Verhältnisse zu. Wenn nun Sein so viel heißt wie verbunden sein und eins sein, Nichtsein so viel wie nicht verbunden sein, vielmehr in eine Mehrheit auseinandergehen, so kann in bezug auf dasjenige, was beides, das Verbundensein und das Getrenntsein, zuläßt, eine und dieselbe Ansicht und eine und dieselbe Aussage je nachdem wahr oder falsch sein, und so kann in ihr das eine Mal Wahrheit, das andere Mal ein Irrtum vorliegen. Bei den Gegenständen dagegen, bei denen nur das eine Verhalten möglich, das entgegengesetzte ausgeschlossen ist, da tritt der Fall nicht ein, daß eines und dasselbe bald wahr, bald falsch wäre, sondern da bleibt ewig eines und dasselbe wahr oder falsch.

Was heißt dann aber Sein oder Nichtsein, Wahr- oder Falschsein bei denjenigen Objekten, bei denen von Verbindung und Trennung überhaupt nicht die Rede ist? Da wird doch nicht das eine von dem anderen ausgesagt, so daß das Sein gälte, wenn Verbindung, das Nichtsein, wenn Trennung gegeben wäre, wie beim Holz, das weiß, oder bei der Diagonale, die inkommensurabel ist. Da wird also auch das Wahre und Falsche nicht in gleichem Sinne vorhanden sein wie bei jenen Dingen, und wie das Wahre hier nicht dieselbe Bedeutung hat, so auch nicht das Sein. Sondern hier gibt es Wahres und Falsches nur als ein bloßes Treffen und Benennen des Wahren – benennen und aussagen ist nicht dasselbe – und ein Nichtwissen und Nichttreffen desselben. Denn über das Was, den Gegenstand der Aussage, täuscht man sich nicht oder doch nur in uneigentlichem Sinne. Das gleiche gilt auch von den Objekten, die keinen Inbegriff von Bestimmungen bilden; auch über sie täuscht man sich nicht. Sie sind ganz und gar aktuell und nicht potentiell; denn sonst würden sie entstehen und vergehen. Das Seiende selbst aber entsteht und vergeht nicht; es müßte doch immer etwas sein, woraus es entstünde. Also, was schlechthinniges und aktuelles Sein ist, darüber täuscht man sich nicht; man kann es nur entweder im Gedanken erfassen oder nicht erfassen. Was man in Betracht dieser Dinge fragt, ist ihr Wesen, nicht ob sie von dieser Beschaffenheit sind oder nicht. Das Sein aber als das Wahrsein und das Nichtsein als das Falschsein ist in einem Falle, wo Gegenstand und Bestimmung in der Aussage verbunden sind wie in der Wirklichkeit, wahr, und wenn die in der Wirklichkeit vorhandene Verbindung verneint wird, falsch. Wahrheit und Falschheit in diesem Sinne ist also da vorhanden, wo die Wirklichkeit in der Verbindung oder Trennung von Gegenstand und Bestimmung besteht. Besteht die Wirklichkeit nicht in dieser Verbindung und Trennung, so hat Wahrheit und Falschheit eine andere Bedeutung. Wahrheit besteht dann darin, daß man die Objekte als solche einfach denkt, und da gibt es nicht Irrtum noch Täuschung, sondern nur ein bloßes Nichtkennen. Dieses Nichtkennen darf man indessen nicht so auffassen, wie man von Blindheit spricht; der Blindheit würde es erst dann entsprechen, wenn einer überhaupt kein Denkvermögen besäße.

Es leuchtet ferner ein, daß bei dem, was unbewegt ist, sofern man es als solches erfaßt, auch über das Wann eine Täuschung ausgeschlossen ist. So z.B. wird man, wenn man davon ausgeht, daß das Dreieck sich nicht verändert, nicht auf die Meinung kommen, daß es die Winkelsumme gleich 2 Rechten das eine Mal habe, das andere Mal nicht habe; denn das hieße, es verändere sich. Dagegen kann man von dem Unbewegten wohl die Meinung haben, daß eine Bestimmung dem einen Gegenstande zukomme, dem anderen innerhalb derselben Gattung nicht, z.B., daß eine gerade Zahl niemals eine Primzahl sei, oder auch, daß es eine gerade Zahl gebe, die eine Primzahl sei, andere, die es nicht seien. In bezug auf das aber, was der Zahl nach einzig ist, ist auch nicht einmal dies möglich. Denn da ist die Annahme ausgeschlossen, daß das eine die Bestimmung habe, die das andere nicht habe; da wird man also das Wahre oder das Falsche erfassen als das ewig sich gleichbleibende Verhalten desselben Objekts.'

Das Wahre und das Falsche bei Aristoteles Metaphysik
Cherubim, Wesen der Wahrheit, nach einer Beschreibung von Ezechiël. Ikon.Das Wahre und das Falsche bei Aristoteles Metaphysik Von Mieke Mosmuller

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