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Der Wert des Denkens

Der Wert des Denkens

Von

Mieke Mosmuller

05-08-2015 6 Kommentare Print!
In vielen spirituellen, esoterischen Bewegungen ist eines sicher: Wir müssen das Denken abschaffen, weil es die Ursache aller Trennung ist, des Dualismus, des Gebanntseins in die Materie. Durch das Denken – so wird gesagt – ist der Mensch in Gedanken versunken, wird er im eigenen Inneren abgeschlossen und verschläft das Leben in der Gegenwart. Das Gedankenleben geht immer weiter, und es wird von den Eigenarten dieser bestimmten Person gebildet, es hat keine allgemeinere Bedeutung, und es führt nur zu Streit. Wenn wir uns von dem Denken befreien können, dann werden wir imstande sein, das Leben in der Gegenwart zu führen, in der Wirklichkeit, und dies nicht schlafend oder träumend.

Aber es gibt eine andere Seite des Denkens, und dies ist in Wirklichkeit die einzige echte Seite des Denkens. Es Situation das Denken als Begreifen, als ein wirkliches Ergründen. Wenn wir alle Naturreiche betrachten, dann gibt es nur ein Wesen, das die Anlage zum Begreifen hat: das ist der Mensch. Was also würden wir Abschaffen, wenn wir das Denken abschaffen würden? Wir würden unsere Menschlichkeit vergessen, und wir könnten auf eine friedlichere, aber tierische Natur in uns hoffen, wie die eines Lammes... Aber wir würden keine Lämmer werden, wir würden Tiger, Panther, Leguane oder etwas Schlimmeres werden. Wesen mit Instinkt, aber ohne Begriff für das, was nicht instinktiv ist.

Wenn wir also wieder zur Evolution zurückkehren, wo wir den Homo sapiens finden, dann ist es gerade dieses ‚sapiens’, das den Unterschied ausmacht. Auch ist deutlich, dass die Menschen, die die Überwindung des Denkens predigen, selbst noch immer denken müssen, weil sie nicht anders als mit Hilfe von Gedanken kommunizieren können. Wenn wir sagen, dass wir Einheit statt Vielheit und Unterschied erreichen müssen, dann machen wir dennoch wiederum Gebrauch von den Begriffen Einheit und Vielheit. Denken durchdringt all unsere Fertigkeiten.

Dennoch ist es gewiss wahr, dass das Denken einen Schleier über die geistige Welt legt. Es ist gerade das Denken in Begriffen, dass diesen Schleier undurchdringlich macht. Also müssen wir in der Tat etwas mit diesem Denken in Begriffen, dem abstrakten Denken, tun. Doch wir müssten es tun, ohne die Vernunft zu verlieren. Denken ist wirklich eine Bewegung der Antipathie. Wir setzen etwas aus uns heraus, um es begreifen zu können, wir schieben es weg, von uns fort – dafür ist eine Form von Antipathie notwendig.

Wenn wir morgens wach werden, aus dem Schlaf kommend, vielleicht einen Traum passierend, dann werden wir uns bewusst, dass es eine Welt um uns herum gibt, und wir werden uns bewusst, dass wir selbst da sind. Wir werden nicht nur durch die Sinneswahrnehmung wach; unsere Sinneswahrnehmungen sind immer von Gedanken durchdrungen. Wenn das nicht so wäre, würden wir zwar sehen, hören, fühlen und so weiter, aber wir würden nicht wissen, was wir sehen, hören, fühlen... Das wissende Bewusstsein ist unser wacher Zustand. Dennoch sind wir nicht ganz wach, denn das assoziative Denken vermischt sich unmittelbar mit dem reinen Denken in den Sinnen. Dies sind die Urteile, Erinnerungen, Sympathien und Antipathien, Gedanken über das, was wir getan haben, was wir tun werden – und so weiter. Wir würden sehr viel gewinnen, wenn wir diese Gedanken zum Schweigen bringen könnten und nur reine Gedanken denken könnten, die auf der Wahrnehmung mit den Sinnen beruhen. Wir würden noch immer einen Schleier über der geistigen Welt haben, aber wir würden rein menschlich sein, mit einem in aller Reinheit in der Sinneswahrnehmung lebenden Begriffsdenken. Wir würden den Wert des Denkens erkenne, die Schönheit des Denkens, die Schönheit der Welt und des Selbst.


Der Wert des Denkens
Gardevias oder der Wert des DenkensDer Wert des Denkens Von Mieke Mosmuller

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Kommentare
  • Von Alfons Seistil @
    Leider ist es viel leichter das intellektuelle, klare Denken verschwommen werden zu lassen und sich dadurch mit allem Eins zu fühlen, als die große Ansterngung auf sich zu nehmen, das reine Denken zu erreichen. Viele Menschen glauben zu meditieren, wenn sie die Gedanken vor sich hinschweifen lassen, oder wie Herbert Fritsche es so schön sagt: "vor sich hindenkeln". Ich könnte von mir nicht behaupten, dass ich das reine Denken beherrsche, aber durch geduldigem Üben habe ich doch eine Ahnung was es sein kann.
    • Von Mieke Mosmuller @
      Ja, das Verschwommen-werden-lassen des Denkens ist das Übliche, das eigentlich gar nicht mehr Denken genannt werden sollte. Ich glaube, dass nur wenige ahnen wie stark die Kraft sein muss in der Denk-Meditation, damit das Denken sich aus dem Nebel befreien kann.
      • Von Alfons Seistil @
        Es ist dies wirklich ein täglicher Kampf, bei dem man sich immer wieder erwischt, wie man in ein '' Vor- sich - hindösen" verfällt
  • Von Machteld Veenker @
    Beste Herr Seistill, verzeihe mich etwas hin zu fügen an Ihren Wörter: das abstracte Denken zu lassen, ist doch in beiden Falle - bei alle meditatieve Strömungen als auch bei das geistig-wissenschaftliches Üben notwendig? In beide fallen ist dann die Anstrengung gleich - also ein sehr mühsamen Weg. Das unterschied ist jedoch das der geistig-wisschaflichen Weg,  weitergeht wo alle andere meditatieve Wege - auch die Östliche - halten, oder weiter nicht denken wollen in das was 'eins mit Allen' oder 'ins Blauwe hinein' genannt werd. Ich habe bei einen Freund gesehen, wiefiel Mühe das 'nur anschauen ohne Urteil unseren Gedanken'  kosten kann, und auch wie unmöglich für den Westlichen Mensch. In diesen Sinn ist dan das lernen zu denken durch das Denken selbst kennen ze lernen leichter. Weil es nach zu folgen ist und wir verstehen was wir machen. Aber das kan mann auch wieder nicht einfach so sagen, denn das ganze Process von unseren Denken kennen zu lernen, zu lernen das sogar zu lieben, ist schwer. Aber ich meine hier, das wir auf diesen Weg, wenn wir es ernst nehmen, bemerken können das es wirklich werkt. Nicht nur als Methode, aber als ein lebendiges wirkendes wachsendes Process.
    • Von Mieke Mosmuller @
      Es ist etwas anderes ob wir das Denken ausschalten wollen, oder ob wir das Denken in die Verschwommenheit hinein gleiten lassen. Das Verschwimmen ist es, was beim Meditieren oft von selbst geschieht, und was dann irrtümlich als ein Ausschalten des Denkens wird aufgefasst. Ein wirkliches Ausschalten des Denkens kann nur über das Denken geschehen.
  • Von G. Bandorf @
    Sehr geehrte liebe Frau Mosmuller,

    blickt man auf dasjenige, was als das Denken dem zugrunde liegt, wovon die Ansicht in gewissen Kreisen besteht, es müsse abgestellt oder gar abgeschafft werden, um vermeintlich inneren Frieden zu erlangen, so ist über das, was dort gemeint wird als Denken, nämlich daß dies abgeschafft gehöre, festzustellen, daß es sich dabei nur um ein eigentliches Vorstellen des Denkens handelt. Es rekrutiert sich dieses vorgestellte Denken in seinem Auftreten lediglich aus Affirmationen; d.h.: aus Neigungsimpulse innerhalb der Kategorien Sympathie und Antipathie – resp. innerhalb von Gewohntem und Ungewohntem.
    Aus der Empfindungsseele treten – als Wahrnehmungen der eigenen inneren leiblichen Verfaßtheit die Organkonfigurationen - diese als transformierte Affekte, u.a. in Form von Bild- und Bedeutungsinhalten zu Begriffen in der Verstandesseele auf, welche sich dort, dem Wesen der Verstandesseele gemäß, ihr als eine Art kombinatorische Sortierungsaufgabe präsentieren. Die Bewußtseinsseele schläft hierbei noch insoweit, als sie nur, bzw. vorzugsweise, das Gewahrwerden dieses internen seelischen Geschehnisses als ein Solches erfaßt, an ihm sozusagen passiv teilnimmt, jedoch noch nicht dazu ausgebildet ist, Befähigung aufzubringen jeden solchen Vorgang grundsätzlich infrage zu stellen, vulgo: zu reflektieren, was ja einen Akt der Begabung zur Freiheit bedeutete.

    Das oben angesprochene vorgestellte Denken ist ein durch entsprechende, jeweilige Organverfaßtheit affiziertes, bildhaftes Wahrnehmen dessen, was die Vorgänge des eigenen Leibes sind, was in Wahrheit ja schon auf dieser Stufe ein erkenntnisloses Wahrnehmen der geistigen Welt in sich trägt – sowohl mikro- als auch makrokosmisch, nämlich hinsichtlich der quasi endogenen Physis selbst als auch ihrer exogenen Bedingtheiten. Und dies: die nicht Ich-bewußt erfaßte, nicht zur Selbstauskunft ausgereifte Befähigung im Erfassen dessen, führt zu den nämlichen, mannigfaltigen Dissoziierungen, die Sie im Text herausgearbeitet haben.

    Das „Ich denke, also bin ich“ des Descartes, wird in einer paradoxen Absurdität durch jene Menschen, welche insbesondere durch sehr fragwürdige „Meditationsübungen“ dahin streben, das „Denken“ ausschalten zu wollen, um (leichter) zu sein, durch ein: ‚Ich denke nicht, also bin ich’, in Form einer contra dictio in adjecto „geadelt“. Denn selbstverständlich muß ja auch ein „Ich denke nicht“, gedacht werden, um es überhaupt postulieren zu können. Es kann gesagt werden, daß Menschen, welche zum Gewahrwerden ihres eigenen Denkens nicht gelangen können, durch Eigentümlichkeiten ihrer physischen Organisation (im inkonsistenten Zusammenwirken von physischem- und Ätherleib) sozusagen verhindert sind, gegenwärtig zu vollständiger Inkarnation, zu Selbstbewußtheit zu gelangen.*

    Begriffe sind im quasi „Entwicklungsstufen-Modus“ von Empfindungs- und Verstandesseele (und noch im Übergang zur Entwicklung der Bewußtseinsseele) individualisierte Vorstellungen, mithin treten sie, einmal zu solchen geformt, als Affirmationen aus entsprechend geprägter Leiblichkeit auf. Erst ein Denken über das Denken, im Ausbilden der Bewußtseinsseele und im Entwicklungsschritt zu den Erkenntnisorganen von Imagination, Inspiration und Intuition, also das von Ihnen so trefflich beschriebene „Freie Denken“, offenbart erst die Wesen hinter Begriffen als tatsächliche geistige Wesen.

    *) Ob hieraus jedoch gefolgert werden kann, daß daraus evtl. „Wesen mit Instinkt, aber ohne Begriff für das, was nicht instinktiv ist.“ in weiterer Entwicklung werden könnten, erschließt sich mir nicht.
    Ich denke hierbei insbesondere an sogenannte „geistig behinderte“ Menschen, und verweise darauf, daß bei solchen - wie oben zu charakterisieren versucht -, mannigfaltige Inkarnations-Verhinderungen aufgrund gewisser gleichsam desolat gebliebener Gegebenheiten vornehmlich bezüglich der Ausgestaltung der physischen Leiblichkeit vorliegen.

    Mit freundlichen Grüßen!


    P.S.: Chapeau für Ihre Texte und Ihre Website!
    (Betrachten Sie meine Kommentare als anregen wollende Komplimente.)