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Die Bedeutung des 'Ich'

Die Bedeutung des 'Ich'

Von

Mieke Mosmuller

08-10-2014 0 Kommentare Print!
Wenn man zu den klassischen (toten) Sprachen Latein und Griechisch zurückgeht, dann ist da das 'ich' noch in das Verb aufgenommen. Der Gebrauch des Verbes deutet denjenigen an, um den es geht. Dies sieht man heute noch in den vom Lateinischen abstammenden Sprachen wie dem Spanischen, das ja eine lebende Sprache ist, die noch immer gesprochen wird. Im Französischen, Deutschen, Englischen und Niederländischen zum Beispiel ist 'ich' ein separates Wort geworden, losgelöst vom Gebrauch des Verbes.

Das Wort 'ich' wird natürlich überhaupt nicht immer bewusst verwendet. Man gebraucht es als eine Art Reflex, auch in seinem innerlichen Gedankenleben. Doch dem zugrunde liegt natürlich dennoch eine Gewahrwerdung, worauf das 'Ich-Sagen' beruht. Es ist für die Lebenseinstellung von großem Belang, welche Bedeutung man dem 'ich' gibt.


Wenn das 'ich' ein Gespinst des Gehirns ist, etwas, was nicht wirklich besteht, sondern was eine Art zeitweiliges Hilfsmittel ist, um sich zu unterscheiden, dann bedeutet es, dass derjenige, der sich als ein einzigartiges 'ich' empfindet, einmal mit diesem Fühlen aufhören müssen wird, weil der Leib stirbt. Eine Überlegung, die man in irgendeinem Moment seines Lebens doch einmal haben wird, ist die Frage: Wenn der Leib und damit das Gehirn verfällt – beim Tod also – und wenn der Gedanke 'ich' ein Ausscheidungsprodukt des Gehirns ist, dann ist jener Egoismus, wodurch wir uns so notwendig voneinander unterscheiden müssen, eine ziemlich sinnlose Sache. Denn es ist eine vergängliche Gewahrwerdung.

Es ist von Belang für das eigene Lebensglück, sich einmal zu fragen: Wie fühlt sich nun eigentlich dieses 'ich' an? Wenn ich von den Theorien darüber absehe, dann habe ich die Gewahrwerdung, dass ich ein auf mir selbst beruhendes Individuum bin, das einen Namen trägt, wodurch ich angerufen werden kann, das ich aber in mir selbst mit 'ich' andeute. Wenn man erwachsen ist und sich entscheidet, ein bestimmtes Studium oder eine Ausbildung anzufangen, dann bringt das mit sich, dass man bestimmte Dinge in der Natur, im Leben, im Kosmos – abhängig vom Gebiet seines Studiums – besser kennenlernt, besser durchschauen lernt.

Wenn man jedoch dann diesen wissenschaftlich geschulten Blick auf sein 'ich' richtet, dann scheint dieses 'ich' etwas zu sein, was sich, wenn man darauf schauen will und es durchschauen will, einem entziehen will. Je besser man schaut, desto weniger sieht man. Solange man mit ihm vereinigt bleibt und nicht darüber nachdenkt, hat man ein deutliches Ich-Gefühl. Man braucht darüber nicht zu diskutieren. Aber in dem Moment, wo man sagt: Ich will mein Ich besser kennenlernen, so, wie ich auch in meinem Studium bestimmte Themen besser kennengelernt habe, dann greift man gleichsam ins Nichts.

Hier zeigt sich ein Paradox, denn gefühlsmäßig kennt man sich selbst am besten von allem, was auf der Welt zu kennen ist – und auf der anderen Seite kann man diese Erkenntnis nicht objektivieren. Sobald man es versucht, erlebt man, dass man von sich selbst eigentlich am allerwenigsten weiß. Natürlich, man hat seine Biografie, man hat seine Gefühle, sein Wissen, Ideale, seine Ängste und seine Zweifel, seine Sympathien und seine Antipathien... Man kann zum Psychologen gehen, um mehr davon kennenzulernen, oder man kann beim Psychiater in Analyse gehen, um sogar seine nicht so bewussten Triebfedern kennenzulernen...

Doch ganz aus sich heraus, aus dem Vermögen, bestimmte Dinge zu verstehen, gelingt es einem nicht ohne Weiteres, dieses wundersame Wesen, das man ist und zu dem man 'ich' sagt, zu fassen. Es scheint in dem Moment aus dem innerlichen Gesichtsfeld zu verschwinden, in dem man bewusst darüber nachdenken will.

Die Bedeutung des 'Ich'Dann wendet man sich wieder den bestehenden philosophischen Theorien, den psychologischen Einsichten, den historischen Beschreibungen der Entwicklung des 'Ich' in der Menschheit im Laufe der verschiedenen Epochen zu.

Doch damit hat man die direkte Gewahrwerdung des eigenen spezifischen Ich wieder verloren...
 
Das Ich lässt sich im inneren Spiegel nicht schauen ... oder doch?
Die Bedeutung des 'Ich' Von Mieke Mosmuller

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