Worte haben viele verschiedene Bedeutungen und Konnotationen. Ich will versuchen, die Bedeutung des Wortes ‚Seele’ zu geben, wie ich es verwende. Im Leben auf Erden haben wir ein klares Bewusstsein von dem Sein unseres Leibes – solange wir nicht schlafen. Sogar wenn ich niemals philosophische Überlegungen anstelle, weiß ich von meinem Sein als einem lebenden Leib. Wenn ich wirklich nichts anderes als dieses Wissen habe, muss ich den Tod meines geliebten Leibes fürchten – weil es das Ende von mir bedeuten wird. Es bleibt jedoch ein ungelöstes Rätsel, woher mein bewusstes Wissen kommt, und wenn ich der Wissenschaft diese Frage stelle, werde ich keine klaren Antworten bekommen. Ich selbst hatte einmal eine Podiumsdiskussion mit einem Professor an der Universität, der behauptete, das menschliche Bewusstsein unterscheide sich nicht von dem ,Bewusstsein’ eines Computers oder Roboters. Das Einzige, was ein Mensch dann wäre, wäre ein schicker Körper mit einem schlauen Gehirn. Techniker würden dann also versuchen, diese Schlauheit zu ,lesen’ und sie so perfekt wie möglich zu kopieren – und diese Perfektion wäre dann nur eine Frage der Zeit. In dieser Vorstellung des Menschen ist kein Platz für eine Seele, sie macht keinerlei Sinn.
Meine Sicht auf die Seele ist weiter, nicht auf die Existenz des Leibes beschränkt. Ich nenne sie eine ,sie’. Nicht, weil sie eine Frau ist, die mit leiblichen Augen gesehen werden könnte. Sondern weil sie alle Aspekte eines weiblichen Wesens hat, außer einem Leib. Über ihr, hoch über ihr, ist ein anderes Wesen, wir können es ein ,er’ nennen, es ist der Geist, der herrscht. Er könnte sich nie in ein menschliches Sein inkarnieren, wenn nicht sie da wäre, um zwischen den geistigen Welten und der physischen Welt zu vermitteln. Ihr Haupt, der Höhepunkt ihres Seins, reicht in die Welt der Sterne, wo sie alle Weisheit der Welt denken kann… Ihre Füße stehen sicher auf der Erde, wo sie zum Guten und zum Bösen handeln kann. Dazwischen, etwa in der Region der Sonne, fühlt sie, sie hat da ihre Sympathien und Antipathien… Ihr Geschenk ist Bewusstsein, von allem, was ist, was empfunden, was gedacht werden kann.
Doch in ihr sind auch die Fähigkeiten des Bösen anwesend. Sie muss das Gleichgewicht halten, aber sie kann sich auch entscheiden, dies nicht zu tun. Sie kann der Versuchung nachgeben, die irdischen Pflichten zu vergessen und nach einer ,besseren Welt’ zu streben, wo nichts Schlimmes überwunden werden muss, wo alles gut ist – wo aber keine weitere Entwicklung stattfinden kann, wo sie genauso bleiben muss, wie sie jetzt ist… Auf der anderen Seite kann sie den Himmel vergessen, sich selbst als Seelen-Sein vergessen und versuchen, so irdisch wie möglich zu werden.
Alle Weisheit und Liebe, die ein Mensch braucht, kann in ihr gefunden werden, aber auch alle Faulheit und Dummheit. Es muss eine andere Instanz im Menschen geben, die das eine oder das andere wählen kann. Eine Macht, die eine gewisse Freiheit hat, dies zu tun, und sie, die wunderbare Seele, zu verstehen und zu entscheiden, welchen Weg sie gehen soll – den Weg in zu große Höhen, den Weg, der steil hinab führt – oder den Weg des Gleichgewichts.
Frau Holle, Gold Marie (Anton Pieck)
Die Seele Von Mieke Mosmuller