Zitat aus dem ersten Vortrag aus GA 180, 'Mysterienwahrheiten und Weihnachtsimpulse, Alte Mythen und ihre Bedeutung', von Rudolf Steiner.
'Der Sinn, der verbunden ist mit der Kraft des menschlichen Sehnens, wie sie viele Jahrhunderte hindurch in den menschlichen Herzen Platz gegriffen hat mit dem Feste, dessen Symbolum in der neueren Zeit der Weihnachtsbaum geworden ist, dieser Sinn ist auszudrücken in den Worten, die da ertönen seit dem Beginn der Zeitrechnung, welche vom Mysterium von Golgatha ausgeht, und die sich in die Entwickelung des Erdenwesens weiter hineinverpflanzen sollen. Dieser Sinn, der durch diese Zeit hindurchleuchtet, ist verbunden mit den Worten: « Et incarnatus est de spiritu sancto ex Maria virgine.»
Man darf sagen, ein großer Teil der neueren Menschheit wird mit den Worten «Et incarnatus est de spiritu sancto ex Maria virgine» ebensowenig Bedeutung verbinden wie mit dem Auferstehungsmysterium der Osterzeit. Man darf gewissermaßen sagen, so unwahrscheinlich es dem nicht mehr der spirituellen Welt zugewandten neueren Sinn erscheint, das Mittelpunktsmysterium des Christentums in der Auferstehung vom Tode zu sehen, ebensowenig erscheint es demselben Denken, demselben Empfinden wahrscheinlich, die geistige Tatsache anzunehmen, die mit dem Weihnachtsmysterium verbunden ist: die Fleischwerdung, die Verkörperung aus der jungfräulichen Geburt heraus. Ja, man kann wohl sagen, ein großer Teil der neueren Menschheit wird dem Naturforscher, welcher das Mysterium der jungfräulichen Geburt genannt hat «eine freche Verhöhnung der menschlichen Vernunft», mehr zustimmen als demjenigen, der im spirituellen Sinne dieses Mysterium ernst nehmen will.
Und dennoch, in dem christlichen Sinne ist das Mysterium von der Inkarnation vom Heiligen Geiste aus Maria der Jungfrau heraus geltend seit dem Mysterium von Golgatha. In einem andern Sinne war es gültig bereits vor dem Mysterium von Golgatha. Diejenigen, welche dem in der Krippe liegenden Kind dargebracht haben die Symbole, oder besser gesagt die symbolischen Gaben Gold, Weihrauch, Myrrhen, sie haben in den Sternen gelesen im Sinne der alten Wissenschaft seit Jahrtausenden das Mysterium von der jungfräulichen Geburt, also das Weihnachtsmysterium. Und sie, die Magier mit dem Golde, dem Weihrauch, den Myrrhen, sie sind gekommen, weil sie die Zeichen der Zeit geschaut haben. Was waren das für Zeichen der Zeit? Die Magier mit dem Golde, dem Weihrauch, den Myrrhen, sie waren in dem Sinne, in dem die alte Weisheit dies verstand, Astrologen. Sie waren bekannt mit jenen geistigen Vorgängen, die sich im Kosmos abspielen, wenn sich gewisse Zeichen am Himmel zeigen. Ein solches Zeichen war für sie, daß in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember - in dem Jahre, das wir heute als das der Geburt des Christus Jesus bezeichnen - die Sonne, das große Weltensymbolum des Weltenerlösers, herfunkelte vom Himmelsgewölbe, herfunkelte aus dem Sternbilde der Jungfrau. Sie sagten, wenn die Konstellation am Himmel eintreten werde, daß die Sonne in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember in dem Sternbilde der Jungfrau stehen werde, dann wird mit der Erde eine wichtige Verwandlung vor sich gehen. Dann ist die Zeit gekommen, wo wir das Gold, das heißt das Symbolum unserer Erkenntnis der göttlichen Weltenlenkung, die wir bisher in den Konstellationen der Sterne allein gesucht haben, darbringen werden jenem Impuls, der sich einfügt der irdischen Menschheitsentwickelung ; wo wir den Weihrauch, den Opfersinn, der zu gleicher Zeit symbolisiert die höchste menschliche Tugend, so hinzuopfern haben, daß wir uns zur Verrichtung dieser höchsten menschlichen Tugend verbinden mit der Kraft, die von dem Christus ausgeht, der inkarniert werden soll in derjenigen menschlichen Persönlichkeit, der wir den Weihrauch als symbolische Gabe darbringen; und als drittes die Myrrhen als das Symbolum desjenigen, was ewig ist im Menschen. Was wir verbunden gefühlt haben durch die Jahrtausende mit den Kräften, die aus den Sternenkonstellationen herunter sprechen, wir suchen es im weiteren, indem wir es als Gabe darbringen Dem, der der Menschheit ein neuer Impuls werden sollte. Wir suchen unsere Unsterblichkeit dadurch, daß wir unsere Seele verbinden dem Impulse des Christus Jesus. Wenn aus der Jungfrau das kosmische Symbolum der Weltenkraft, der Sonnen-Weltenkraft, herunterleuchten wird, dann wird eine neue Erdenzeit beginnen. So war es geglaubt, so war es angesehen durch Jahrtausende hindurch. Und als sich die Magier veranlaßt fühlten, die Weisheit vom Göttlichen, den menschlichen Tugendsinn, die Erfühlung der menschlichen Unsterblichkeit - symbolisch ausgedrückt in Gold, Weihrauch und Myrrhen - hinzulegen vor dem göttlichen Kinde, da wiederholten sie als in einem geschichtlichen Ereignisse dasjenige, was in unzähligen Mysterien, in unzähligen Opferhandlungen durch die Jahrtausende eben symbolisch dargestellt worden ist, indem man wie eine prophetische Hinweisung auf das Ereignis, das eintreten sollte, wenn die Sonne um die Mitternacht vom 24. auf den 25. Dezember aus der Jungfrau vom Himmel herunterscheint, dem symbolischen Götterkinde, das in den alten Tempeln als der Repräsentant der Sonne aufbewahrt wurde, in dieser Weihnachtsnacht opferte Gold, Weihrauch, Myrrhen.
So spricht auf christliche Weise das «Incarnatus est de spiritu sancto ex Maria virgine» seit bald zwei Jahrtausenden, so spricht dasselbe Incarnatus seit Menschengedenken auf der Erde.'
Ravenna, Mosaik aus dem 6. Jahrhundert
Die Weisen aus dem Osten Von Mieke Mosmuller