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Ein Buch lesen

Ein Buch lesen

Von

Mieke Mosmuller

29-06-2016 3 Kommentare Print!

Bücher lesen ist eine sehr besondere Beschäftigung. Wenn man einen Roman liest, der interessant ist, dann taucht man unter in die Gedanken und die Gefühlswelt eines Anderen, des Autors, der etwas wiederzugeben versucht von den Personen und Situationen, die beschrieben werden. Wenn man ein Studienbuch liest, zum Beispiel ein Buch aus der Gesamtausgabe Rudolf Steiners, dann kann es anfänglich etwas mühsamer sein, ,hineinzukommen’, aber dann wird man dennoch auch mitgenommen von dem geweckten Interesse an dem, was da geschrieben steht. Man kann bemerken, wie dieses Interesse die eigene Art des Lesens vertieft und wie man allmählich zu einem Erleben des Inhalts kommt, so, wie man bei einem Roman unmittelbar in das Erleben kommt. Ein Buch hat man in seinen Händen, es ist aus Papier und Karton, es hat eine bestimmte Anzahl von Seiten, man blättert diese jedes Mal um – und schließlich hat man es ausgelesen. Wenn es gut ist, ist es schade, dass es zu Ende ist. Wenn es nicht gut ist, dann zählt man die Seiten, die man noch vor sich hat, bis es endlich vorbei ist. Das Buch riecht nach Papier, es fügt sich der eigenen Lesearbeit, man kann es lieben oder eine Abneigung dagegen haben. Es ist ein materielles Ding, aber es hat eine die Seele und/oder den Geist weckende Wirkung, die weit über das Ding, über das Papier und das Format hinausgeht.


Wir reisen viel, und wir haben immer ein paar Taschen mit Büchern bei uns, die wir wirklich brauchen. Das ist ziemlich lästig, es nimmt viel Platz ein, und es ist schwer zu tragen. Außerdem kann man nicht alles mitnehmen, und dann fehlen einem doch immer wieder Bücher, die zuhause geblieben sind. Darum ist es wirklich sehr praktisch, dass es eine andere Art gibt, seine Bücher mitzunehmen. Weil es vor allem um die Bücher von Rudolf Steiner geht, haben wir vor Jahren die Gesamtausgabe auf einer externen Festplatte angeschafft, die auf dem Computer geöffnet werden kann. Später war dies schon wieder veraltet, weil es im Internet Seiten gibt, wo man die vollständige Gesamtausgabe ohne Weiteres finden kann, sogar auf seinem Smartphone. Das ist wirklich eine Hilfe, und wenn es um das Aufsuchen von Fakten geht, die man vergessen hat, ist das ausgezeichnet und praktisch. Ich scheue mich nicht, damit umzugehen. Aber gerade dadurch habe ich das Lesen am Bildschirm sehr gut kennengelernt – und auch den Unterschied zum Lesen in einem Buch. Ich werde versuchen, es in Worte zu fassen. Viele Menschen verneinen den Unterschied, meinen, dass sie sich selbst als Buchleser mitnehmen können, wenn sie am Bildschirm lesen. Ich will dem kräftig widersprechen.

Der Computer ist tatsächlich eine Rechenmaschine, und man denke nur nicht, dass dies nicht wirksam ist, wenn man am Bildschirm liest, auch wenn da Buchstaben und Worte stehen, wie in einem Buch. Es kommt einem etwas anderes entgegen, als wenn man in einem Buch liest, das still und unveränderlich in den Händen liegt. Von dem Buch kommen ausschließlich die Wirkungen, die aus dem gelesenen Text kommen. Von dem Bildschirm kommt einem eine ganze Welt von Technik und Unternatur entgegen. Die Buchstaben und Worte stehen zwar da, aber sie sind Schein, sie sind weiter von uns entfernt, als man denken würde. Es wirkt weiter und hält einen auf Abstand in Bezug auf die Wirkungen des Textes. Man müsste jedes Mal wieder Abstand zu dem Apparat gewinnen müssen und den Inhalt meditativ näher bringen müssen, um denselben Effekt zu haben, den man von selbst beim Lesen eines Buches hat. Das ist eine der schleichenden Wirkungen: das Mitdenken von am Bildschirm gelesenen Text wird deutlich abstrakter.

Eine zweite Wirkung liegt im Wecken von Ungeduld. Der Apparat ist eine treibende Kraft, die die eigene innere Ruhe vertreibt. Man wird ungeduldig und gehetzt, und das Lesen von Text, der eine tiefere Andacht erfordert, geht einem viel zu langsam. Man will ein Schnell-Leser werden – und wird es auch. Aber man liest auch gelangweilt über scheinbar unwichtige Zwischenpassagen hinweg, man lernt eine Art ,Diagonallesen’, auch wenn es nicht wirklich eine diagonale Bewegung ist, die man macht. Die Gefahr ist, dass man die Art des Lesens nicht bemerkt: das Gleichgewicht zwischen Wahrnehmung und Denken verschiebt sich in Richtung eines Verlustes von Wahrnehmung und einer Zunahme persönlichen Denkens. Wir lesen mit Interesse dasjenige, was wir schon als Meinung hatten, und mit wachsender Antipathie das, was neu ist. Nur drüber hinweglesen, schnell, schnell. Am Bildschirm kann man nicht in den Text untertauchen, man muss darüber hinweggehen, und man lebt mehr in der Übersicht, an der Oberfläche. Nochmals, das kann sehr nützlich sein, in bestimmten Fällen. Aber man weckt eine bestimmte Gewohnheit im Lesen, die einen schwer wieder loslässt, wenn man wieder ein Buch in die Hände nimmt, das nach einer Vertiefung der Andacht fragt. Man wird merken, dass man immer weniger Lust dazu hat, dass man das zu mühselig findet, dass es zu langsam geht. Das überträgt sich auch auf das Zuhören gegenüber anderen Menschen. Auch das will man in einer Übersicht haben, es darf nicht lange dauern, man wird gelangweilt, schweift ab, wird ungeduldig.

Ich will gewiss nicht sagen, dass das Lesen am Bildschirm unterlassen werden soll. Es ist sehr nützlich, es zu tun – aber man achte einmal auf die typischen Veränderungen in der Art, wie man sich mit einem Text befasst. Rudolf Steiner beschreibt so etwas für die Schreibmaschine. Er fand ebenfalls nicht, dass der Apparat abgeschafft werden müsse, er setzte sich selbst dahinter. Aber er beschreibt, wie er abends imaginativ wahrnahm, wie die tippenden Finger, die Schläge auf die Tasten, wie harte Schläge auf das Herz einwirkten. Auch das ist nicht ein Grund, damit aufzuhören, wohl aber ein Hinweis, dass man andere Maßnahmen hinzunehmen muss, um gesund zu bleiben.

In unserer Zeit der Intelligenz-Technik müssen wir der Tatsache in die Augen sehen, dass es eine notwendige Entwicklung ist, die hohe Anforderungen an uns stellt und die, wenn wir diesen Anforderungen nicht folgen, einen Anschlag auf unsere höchste menschliche Möglichkeit bedeuten: die Intelligenz. Durch eine Übergabe der Intelligenz in die Hände Ahrimans wird diese abstrakt, kalt und herzlos. Durch ein Verstärken der menschlichen Qualität des Denkens wird die Intelligenz konkret, warm und herzverbunden.

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Das BuchEin Buch lesen Von Mieke Mosmuller

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Kommentare
  • Von Gerheart Bandorf @
    Ja, hier wird das Mittel zum Zweckwesen.
    Wohl dem, der überhaupt noch daran gewöhnt und darin geübt ist, vornehmlich Bücher zu lesen!

    Mir fällt beim Lesen am Bildschirm auf, daß sich das Atmen verändert. Es vollzieht sich flacher und nicht in ausgiebigen Zügen. Gleichzeitig stellt sich eine Grundanspannung ein, der Muskeltonus ist erhöht. Ich möchte dabei sogar von einem gewissen kataleptischen Grund-Habitus sprechen. Der Ätherleib ist der Vermittler des Gedächtnisses, er formt aus dem physischen Leib Bildanregungen hervor. Der Astralleib wiederum liest im Ätherleib dasjenige, was durch Ereignisse in diesen eingeschrieben ist und wird.

    Das Lesen am Bildschirm, was in einen gewissen ‚somatisch kataleptischen Grund-Habitus‘ übergeht und durch Verflachung und damit einhergehender Steigerung der Atmungsfrequenz begleitet wird, ist ein Ereignisstatus, der die Inhalte des zu Lesenden gleichsam eskortiert.
    Hierdurch ist die Bildsamkeit und die Lebendigkeit des Gedächtnisses eingeschränkt und in einen gewissen ahrimanisierten Status versetzt. Erlebnisse reduzieren (dislozieren) sich damit gewissermaßen auf induzierte Ereignisse. Denn es liest der Ätherleib im physischen Leib das, was dieser als eine Art Spiegel darbietet; der Astralleib liest wiederum im Ätherleib und das Ich spiegelt sich dementsprechend als v e r-starrt oder in lebendiger Bewußtheit. Es ist evident, wie in der jüngeren Generation Erinnerungsfähigkeiten insbesondere in Form von verknüpftem Erinnerungswissen und die Fähigkeiten deduktiv denken zu können, abnehmen. Vorherrschend bildet sich ein induziertes Ich-Surrogat aus.
  • Von ted McGlone @
    excellent! On sub-nature, on superficial reading vs meditative taking in of difficult passages, on concrete warm gifts of reading connected with the heart, yes, rising above the impatience hurrying to read on AI requires spiritual work.
  • Von Mimi Goacher @
    I have been seeking to understand what exactly the differences are between the book which I hold ( and read) and a piece of electronic equipment which I use to read. You have explained beautifully. Am I the only one on the planet who prefers the telephone for a conversation to the mobile phone? Perhaps you could write a piece on that?