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Glaube

Glaube

Von

Mieke Mosmuller

20-08-2014 7 Kommentare Print!
Durch die Notwendigkeit, diese Texte selbst auf Englisch zu schreiben, mache ich interessante Entdeckungen. So haben wir im Niederländischen – und auch im Deutschen ist das so – ein Wort für Glauben. Im Englischen gibt es dafür zwei Worte, und zwar 'belief' und 'faith'. Im Wort 'faith', das ein religiöses Glauben andeutet, liegt die Bedeutung von Vertrauen, während 'belief' mehr auf eine Annahme von etwas hindeutet, was nicht bewiesen ist. Man könnte sagen, dass 'faith' mit dem Inhalt des Denkens nichts zu tun habe, dass es eine Grundhaltung der Seele ist, während 'belief' gerade den größten Teil des Denkinhalts ausmacht.

Ich will versuchen, etwas über 'belief', über Glaube, zu sagen. Der moderne Wissenschaftler ist stolz auf seine 'evidence based science', er braucht keinen Glauben, meint er. Doch in der Medizin zum Beispiel ändert sich die Wahrheit sozusagen jedes Jahr. Als ich eine junge Ärztin war, musste ich ein Literaturstudium bezüglich der Frage machen: Ist es förderlich oder notwendig, Patienten, die einen Herzinfarkt gehabt haben, mit Antikoagulantien zu behandeln? Ich ging damals in Amsterdam zur Bibliothek, wo man all diese medizinischen Artikel abfragen konnte – es gab damals noch kein Internet –, und ich fand einen ganzen Stapel medizinischer Zeitschriften mit Forschungsresultaten. Diese bewiesen ganz verschiedene Dinge. Die Frage ist dann: Was soll nun der Arzt darüber denken? Soll er nun der einen oder der anderen Untersuchung glauben? Was ist eigentlich dieser Beweis, auf dem die Wissenschaft basiert? Natürlich gibt es letztlich einen Konsens darüber, was am schwersten wiegt und was man dann als 'wahr' annehmen müsse, aber es ist in Wirklichkeit dennoch Glaube und kein Wissen. Denn der exakte wissenschaftliche Beweis für das eine oder das andere fehlt. Man müsste sich als Wissenschaftler, wenn man das Tun in der Wissenschaft betrachtet, also realisieren, dass ein großer Teil des eigenen Wissens trotz allem auf Glauben beruht.

So ist es auch mit einem Phänomen wie der 'Big-Bang-Theorie'. Diese wird von Vielen als wissenschaftlich bewiesen betrachtet und an den Anfang der Evolution gestellt. Aber es ist klar: Es ist eine Theorie, und eine Theorie ist noch kein Beweis. Wenn wir wirklich ehrlich sind, müssen wir sagen, dass derjenige, der diesen 'Big Bang' als eine feststehende Tatsache annimmt, in Wirklichkeit einen Glauben hat. Man kann natürlich einwenden, dass dieses Phänomen wissenschaftlich bewiesen sei oder zumindest sehr wahrscheinlich gemacht wurde. Darauf antworte ich: Ich finde dies nicht, und das geht auch aus der Tatsache hervor, dass es eine Theorie ist. Das Thema ist viel zu kompliziert, um sicher sein zu können, dass alle Schlussfolgerungen in richtiger Weise gezogen worden sind. Es war schließlich niemand dabei, als der 'Big Bang' stattgefunden hat – wenn er stattgefunden hat. Es gab keine 'Wahrnehmer', die berichten können, dass es wirklich so geschehen ist. Es sind Schlussfolgerungen auf Schlussfolgerungen, obwohl diese aufgrund von seriösen Berechnungen und Statistiken gezogen wurden. Aber ich möchte vorschlagen, dass die Menschen, die davon überzeugt sind, dass am Beginn der Evolution ein 'Big Bang' steht, sich selbst ehrlich als Menschen mit einem Glauben betrachten.

In dieser Weise müsste man sich jedesmal, wenn man meint, dass man von irgendetwas überzeugt ist, mit Hilfe dieses 'zweiten sapiens' fragen: Beruht diese Überzeugung auf wirklicher Einsicht in das Phänomen, oder beruht sie doch auf dem, was wir 'Glauben' nennen. Natürlich hat jeder das Recht, bestimmte Dinge zu haben, an die er glaubt, aber wir müssten Selbsterkenntnis entwickeln, damit wir den Unterschied zwischen dem Annehmen von Tatsachen durch Einsicht in das Phänomen oder aber durch einen Glauben sehen können. Es gibt nun einmal Dinge, die nicht mit Sicherheit gewusst werden können. Es gibt auch viele Dinge, die wir sehr wohl sicher wissen. In einem solchen Fall haben wir gleichsam einen Glauben, der auf einem sicheren Wissen beruht. Wir müssten lernen, zwischen diesen verschiedenen Prozessen des Annehmens von Wahrheit zu unterscheiden.


Wir brauchen die weise Weisheit, die 'sapiente sapientia', um diesen Unterschied zu machen. Dann können wir zwischen wahrer Information und unsicherer Information unterscheiden. Bei der Bildung der öffentlichen Meinung ist das sehr wichtig. Was können wir glauben und was müssen wir jedes Mal wieder zur Diskussion stellen?

Ich spreche also noch nicht über religiösen Glauben. Ich versuche, ein Bewusstsein zu wecken, dass in der 'evidence based science' die Kraft des Glaubens stark beansprucht wird, dass es aber so nicht gesehen wird.

Ein Kennzeichen des Glaubens ist, dass Nicht-Glauben auch Glaube ist. Man glaubt, dass etwas nicht wahr ist, aber die Kraft des Glaubens ist natürlich dieselbe wie die in Menschen, die glauben, dass dieselbe Tatsache doch wahr ist. Jemand, der den 'Big Bang' als bewiesene Wahrheit annimmt, glaubt daran, und jemand, der nicht daran glaubt, hat ebenfalls einen Glaluben.
Wenn jemand sagt, dass er nicht an Gott glaubt, dann sagt er, dass er einen Glauben hat. Denn das Nicht-Existieren von Gott ist wirklich nicht bewiesen.

Ein brilliantes Beispiel eines Wissenschaftlers, der ehrlich nicht an Gott glauben konnte, ist Richard Feynman. Ein Ausspruch von ihm ist: Wissenschaft ist der Glaube an die Unwissenheit der Experten.'

Richard Feynman (11.5.1918 – 15.2.1988) war ein amerikanischer theoretischer Physiker und war namentlich auf dem Gebiet der Quantenelektrodynamik (QED) sehr einflussreich. 1965 erhielt er den Nobelpreis für Physik. Er war auch als Tresorknacker, Nachtclubgast, Zeichner, Bongospieler und Kenner der Maya-Kultur bekannt. Weithin bekannt wurde er kurz vor seinem Tod während der öffentlichen Anhörungen nach dem Unglück der Raumfähre Challenger. Nicht zuletzt war er als Didaktiker berühmt.

'Wissenschaftliche Gesichtspunkte enden in Frömmigkeit und Mysterium, verlieren sich in Unsicherheit, sie scheinen aber so tief und beeindruckend zu sein, dass die Theorie, dass alles arrangiert wurde als Bühne worauf Gott den Kampf um das Gute und Böse im Menschen anschauen kann, ziemlich unzureichend ist.'

Glaube
Raimundus LullusGlaube Von Mieke Mosmuller

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Kommentare
  • Von @
    Das Du ist aus meiner Sicht die wohl wichtigste Erkenntnisquelle schlechthin, nicht nur im sozialen Umgang, in der journalistischen Meinungsbildung, sondern auch im wissenschaftlichen Sinne. Ein heute noch viel zu wenig beachteter Umstand. Keine wissenschaftliche Erkenntnis kommt nämlich zu Stande ohne viele, viele Gespräche von Du zu Du. Diese Gespräche filtern das scheinbar Erkannte erst auf eine echte Erkenntnis hin durch. Dort wo Wissenschaft diese Gespräche nicht in eine echte Tiefe hinein führt, bleibt sie im verdeckten Glauben hängen. Die Theorie wird zur Wahrscheinlichkeit und aus der Wahrscheinlichkeit geht unversehens durch die Hintertür der Glaube hervor, bzw. eine weitere Wirklichkeitsillusion. Das Du hat also eine unendlich weitreichende Bedeutung für alles, was wir tun. Wir sprechen zu wenig im einander anschauenden Respekt miteinander und können von daher nicht die fliessende Quellkraft der Kategorien als Erkenntnisquelle in unserer Alltagswelt für uns erschliessen. Das Vermeinen liegt wie ein russiger Nebel über dem journalistischen Handeln, wie dem sozialen Begegnen untereinander. Bernhard Albrecht Hartmann
    • Von Mieke Mosmuller @
      Ja, das ist ein grosses Ideal, dieses Du. Und das tief Berührende ist, dass dieses Du um so mehr möglich wird, je nachdem der Mensch sich selbst als Du anschauen kann. Er tritt dann aus sich aus, und wird für sich selbst ebenso objektiv ein Du, wie auch der Mitmensch es ist. Diese neue Fähigkeit, der 'neue Sinn' wurde von Rudolf Steiner so wunderbar beschrieben in 'Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens...'
  • Von Simone @
    Liebe Mieke,
    kannst du bitte sagen, was die Buchstaben im äußeren Kreis des Bildes "Prima Figura" bedeuten?
    9 Kategorien? Wieso genau diese Zuordnung und keine andere?

    Durch die Arbeit mit dir und die Beschäftigung mit deinen Büchern wird immer deutlicher und klarer erlebbar, was auch bereits B.A.Hartmann angedeutet hat in seinem Kommentar.
    Dass und wie lediglich in der Zusammenschau dessen, was jeder Einzelne der an einem Projekt aktiv und/oder passiv beteiligten Menschen (und möglicherweise oder zuküftig sicherlich mehr und mehr auch noch darüber hinaus mitbetroffene Natur-Wesenheiten) als stimmig in sich erlebt und was davon mitteilbar wird, sich Wahrheit bildet bzw. abbildet in menschlichen Zusammenhängen, das wird auf diesem Wege immer unübersehbarer.

    Danke auch für die Unterscheidung zwischen "faith" und beliefe".
    Das Erleben damit kann sein, als sei über die verschiedenen Leben oder Lebensjahre hinweg - wie auch immer - sozusagen faith wie gänzlich zugeschüttet worden von beliefe, wie eine Pyramide, die unter Sand begraben wird ... wo aber irgendwann ins Blickfeld gerät, wie das meiste, wenn nicht alles, was man zu wissen glaubte, eben doch "nur" ein beliefe war ... was diesen Sandberg wie in sich zusammen- oder auseinander-bröseln läßt, so dass dann darunter mehr und mehr wieder hervortritt faith, eine in ihrem Grabe völlig unversehrt gebliebene Pyramide, die vielleicht auch unter irdischen Bedingungen ansonsten in der Zwischenzeit längst verwittert wäre, wäre sie nicht vom Sand in die Unsichbarkeit hinein wie vorübergehend verschüttet worden.
    Herzlich.
    Simone Heubach
    • Von Mieke Mosmuller @
      Liebe Simone, vielen Dank für die Schilderung der Pyramide. Über Raimundus Lullus und diese Figur 'Prima Figura' hat Rudolf Steiner gesprochen in Vorträgen in 1924 (Mysterienstätten des Mittelalters). Da wird klar, wie diese Buchstaben mit den seelischen Kategorien zusammenhängen, wie es ein Versuch war, um die Mysterien des Logos zu erneuern.
      • Von Simone @
        Herzlichen Dank für diesen Hinweis.
  • Von Bernhard Höne @
    Liebe Frau Mosmuller!

    Ich habe bereits als 18-jähriger klar zwischen "glauben" und "glauben" unterschieden: Es gibt für mich den Glauben aus w i s s e n d e r
    E r k e n n t n i s sowie den Glauben aus u n w w i s s e n d e m V e r t r a u e n heraus. - Um meine Ansicht verstehbar zu machen, verwende ich als Beispiel gern die mechanische Taschenuhr: Sowohl der U h r m a c h e r als auch sein K u n d e haben zur Funktionsweise der Uhr ein "Glaubens-Verhältnis": Der Uhrmacher ist der aus wissender Erkenntnis glaubende: Da er die Uhr s e l b s t konstruiert und gebaut hat, k a n n er getrost an ihre Funktionstüchtigkeit g l a u b e n, weil er um ihr kunstvolles mechanisches Innenleben w e i ß. - Der laienhafte Kunde hingegen, der von der Uhr-Mechanik nichts versteht, ist darauf angewiesen, dem Können und der Kunst des Uhrmachers zu v e r t r a u e n; er m u s s an die Funktionstüchtigkeit der Uhr glauben, will er sie als absolut zuverlässigen Zeitmesser nutzen. - Ich denke, aus d i e s e r Sicht lässt sich auch der Sinn all der mitunter sonderbaren Bibel-Worte verstehen, die sich um den "Glauben" drehen. So bin ich überzeugt, dass beim Gleichnis des auf Sand und des auf Fels gebauten Hauses von jenen zwei Arten des Glaubens gesprochen wird: Der Glaube, der auf "Sand" baut, entbehrt der Grundlage der Gewissheit; jede Gegen-Theorie, jede Wirklichkeits-Erfahrung, die den Glaubensinhalt not-wendig erschüttert, bringt das Glaubens-Gebäude ins Wanken, unterspült es emotional und bringt es schließlich zum Einstürzen. Dieser pure im wahrsten Wortsinne b l i n d e Glaube verunmöglicht jegliche wahre Erkenntnismöglichkeit. Er verrät aber auch den U n m u t, auf (zumeist) leidvollem und beschwerlichem Wege wahre Erkenntnisse sich aneignen zu wollen. - Der auf "Fels" bauende Glaubende kann sich seiner Sache sicher sein: Jeden Angriff schmettert er ab, denn gegen
    wahrhaftige, wissende Erkenntnis und Erkenntnis-Gewissheit sind U n w a h r h a f t i g k e i t und L ü g e machtlos. - Außerhalb jener
    Glaubens-Dualität finde ich noch den biblischen "seligmachenden Glauben": Ich denke, dass hiermit das gesunde Ur-Vertrauen in das Gute, Wahre und Schöne in der Welt und des all-umfassenden Kosmos gemeint ist, an die göttliche Vollkommenheit alles Seienden. Wenn Christus zu Thomas sagt: "Weil du g e s e h e n hast, g l a u b s t du!", so drückt er damit seine Enttäuschtheit über den kleinlich-materialistischen Wankelmut, vielleicht auch über die infantile Trotzigkeit des Jüngers aus. Immerhin war der "Zwilling" unmitelbarer Zeuge
    und Teilhaber des gesamten mystischen Christusweges, des zeitgerafften Vor-Ganges der geistigen Menschheitsentwicklung - und nun, da der l e t z t e irdische Schritt mit aller Konsequenz getan ist, wagt er zu z w e i f e l n! -

    Vielleicht erfahre ich Ihre Meinung zu meinen Worten! - Das wäre schön, und ich hätte Gelegenheit, meine Erkenntisse evt. zu revidieren,
    zu vertiefen und zu erweitern...

    Liebe hochachtungsvolle Grüße von

    Bernhard Höne!
    • Von Mieke Mosmuller @
      Lieber Herr Höne, mit dem Uhr ist es für den unwissenden Vertrauenden doch möglich seinen Glauben zu prüfen, weil die Uhr gut funktionieren soll und die richtige Zeit angeben. Mit übersinnlichen Tatsachen ist das auch möglich, aber da liegt es weniger nahe, das zu versuchen. Über Thomas sagt Steiner in seinen Vorträgen über das Johannes-Evangelium, dass er innerlich noch nicht weit genug vorgeschritten war, um hellsichtig anschauen zu können, dass er dem Auferstandenen begegnete, und dass Christus durch Seine Antwort ihn dann auf dem Weg der Hellsichtigkeit weiterbringt. So finden wir den religiösen Glauben als neue Hellsichtigkeit wieder.