Während ich über die Untersuchung der DNA nachdachte, traf mich eine Ähnlichkeit zwischen der Vagheit des Wissens über das eigene „ich“ und des Wissens über die eigene DNA – doch zugleich traf mich auch ein großer Unterschied.
Man kann außergewöhnlich klar erleben, dass man ein „ich“ ist – aber je mehr man nach dem eigenen „ich“ schaut, desto mehr scheint es von einem fortzutreiben. Es ist wie Quecksilber. Wenn man eine kleine Pfütze von Quecksilber hat – es ist das einzige Metall, das bei Zimmertemperatur flüssig ist –, dann sieht man, dass es die Tendenz hat, Tropfen zu bilden. Es bleibt nicht zusammen, sondern es bildet gesonderte Tropfen. Wenn man versucht, es zusammenzufügen und aufzuräumen, entzieht es sich, es lässt sich nicht „fassen“, es verhält sich, als ob es lebendig wäre. Das „Ich“ ähnelt dem Quecksilber, es versucht, zu entfliehen, sobald man es sucht.
DNA ist ebenso ungreifbar. Die Wissenschaft versichert uns, dass sie existiert, und natürlich glauben wir der Wissenschaft. Doch obwohl sie das Innerste in unserem Körper zu sein scheint, können wir sie nicht selbst gewahr werden. Uns wird gelehrt, dass sie sich im Zellkern befindet, in den Chromosomen, als ein Riesenmolekül mit einer einzigartigen Struktur. Sie ist ebenso einzigartig wie das „Ich“. Man findet nicht zweimal dieselben Exemplare. Aber wir können sie nicht betrachten. Wir brauchen ein gewaltiges wissenschaftliches System, um sie wahrnehmen und untersuchen zu können. Auch der Wissenschaftler kann die DNA nicht mit dem bloßen Auge sehen. Er braucht seine chemischen Reaktionen; ein Elektronenmikroskop, das mehr als millionenfach vergrößern kann, wodurch die molekulare Struktur in gewisser Hinsicht sichtbar gemacht werden kann; ein Computerprogramm, das diese komplexen Zusammenhänge verarbeiten kann, und so weiter.
Wenn dann die DNA sichtbar gemacht ist, dann ist dies dennoch eine ganz andere Sichtbarkeit als mit dem bloßen Auge. Es sind sehr gut allerlei Artefakte und Verzeichnungen möglich, ebenso auch falsche Interpretationen. Die gefundenen Wahrheiten sind immer „statistisch“, niemals vollständig.
Aber worauf ich hier hinweisen will, ist, dass wir nicht selbst zu einer Feststellung unseres eigenen DNA-Musters kommen können, es liegt in einem tief verborgenen Gebiet, wir können uns dessen nicht bewusst werden. Und doch wird gesagt, dass es die wichtigste „Blaupause“ unseres Leibes und unseres „Geistes“ ist.
Wenn ich über die DNA studiere, fühle ich mich wie eine Blinde, die auswendig gelernt hat, wie man in einer Stadt wie Hongkong den Weg findet – ohne etwas mit den Augen erkennen zu können. Angenommen, ich will die Stadt besuchen und habe gelernt, wie ich von dem einen Ende der Stadt zum anderen Ende komme – ohne sehen zu können, wo ich bin. Ich habe den Plan der Stadt in meinem Kopf, ohne räumliche Sicht, ich habe ein „Navi“, aber ich kann mich nirgends vergewissern, ob ich auch wirklich den richtigen Weg nehme. Ich beginne an einer Stelle, die ich nicht sehen kann, und ich ende an einer Stelle, die ich nicht sehen kann – aber mein Gedächtnis und meine technischen Hilfsmittel leiten mich perfekt, ich kann ihnen vertrauen... Das heißt ... sicher kann ich dessen nicht sein, denn ich kann es nicht kontrollieren.
Demgegenüber ist das „Ich“ etwas, was ich mit Sicherheit gewahr werde. Es ist mit „mir“, es bleibt immer bei mir, solange ich lebe und wach bin. Ich kenne sein Muster nicht, ich kenne es selbst nicht, und ich kann ebensowenig die Wissenschaft um Rat fragen. Es ist eine vage Entität, doch es ist das Sicherste, was ich habe. Ich habe es, es hat mich, ich bin ich. Nie kann ich wirklich einsam sein, denn es ist immer bei mir... Ich scheine blind für die Details zu sein, aber ich brauche überhaupt keine technischen Instrumente, um es gewahr zu werden, es ist so nahe, wie etwas nur sein kann.
Wie erforscht die Wissenschaft die DNA?
Wie kann ich mich erforschen?
Erstes Foto (Enzo di Fabrizio) von DNA (2012!), 'gesehen' durch ein Elektronenmikroskop.Ich bin und die DNA ist Von Mieke Mosmuller