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Intellektuelle Bescheidenheit

Intellektuelle Bescheidenheit

Von

Mieke Mosmuller

27-08-2014 0 Kommentare Print!
'Ich bin unwissend geboren worden und habe nur eine kurze Zeit gehabt, um hier und da etwas daran zu ändern.' (Richard Feynman)

Man kann sich vorstellen, dass ein Wissenschaftler wie Richard Feynman diese Bescheidenheit bezüglich der menschlcihen Möglichkeiten, etwas zu wissen, entwickelt hat, weil er ehrlich erfahren hat, wie wenig sein Wissen während eines ganzen Lebens zugenommen hat. Bei ihm haben die Ehrfurcht und das Mysterium, die er in Bezug auf die Großartigkeit der Natur immer mehr empfand, nicht zu einem Glauben an Gott geführt. Im Gegenteil, es machte ihm diesen Glauben sehr schwer oder sogar unmöglich. Man kann das sehr gut verstehen. Das Sammeln von Wissen in der Physik macht die Kluft zwischen dem menschlichen Vermögen zu verstehen und der wirklichen Struktur der Natur tiefer und breiter, statt eine Brücke zu schlagen.


Andere Wissenschaftler, die diese Ehrfurcht und dieses Mysterium auch erfahren haben, haben jedoch einen anderen Weg gewählt (z.B. Fritjof Capra, der das bekannte Buch 'Das Tao der Physik' schrieb). Sie empfanden gerade mehr und mehr, dass die Natur ein Beispiel des Denkens Gottes sein müsse, gerade wegen dieser ehrfurchterweckenden Kompliziertheit.

Der Arzt kann ein solches Bewusstsein auch haben. Konfrontiert mit dem Mysterium des menschlichen lebenden Leibes empfindet er sein Unvermögen, Wissen über diesen lebenden Leib zu erwerben. Die Wissenschaft gibt einige Informationen in Bezug auf den toten Körper und auf Momente im Leben, wie z.B. Laborwerte, Röntgen-Untersuchungen und die Scans, die Momentaufnahmen sind. Der Arzt jedoch sehnt sich nach Informationen über das Dynamische, über das Leben der physischen Prozesse. Die wissenschaftlichen Resultate erwecken die Ehrfurcht und das Mysterium in Bezug auf den menschlichen Leib, und der Arzt sagt: Es ist ein so wunderbar gebauter Organismus, dass ich nicht mehr an die simple Vorstellung von Gott glauben kann! Oder er kann sagen: Dieses Mysterium ist es gerade, wodurch ich den Glauben an Gott gefunden habe!

Wie man hierüber auch denkt und fühlt, man kommt an eine Grenze des Wissens. Man erfährt, wie wenig der Mensch wirklich wissen kann und wie es Grenzen für unsere Möglichkeiten, Wissen zu erwerben, zu geben scheint. Genau hier finden wir den Punkt, der uns dazu bringen müsste umzukehren. Wenn man in der Weisheit nicht mehr weiter wachsen kann, wenn das Erleben der Grenzen, die nicht überschritten werden können, sehr stark wird, dann wird der Mensch zum 'Homo sapiens sapiens'. Das erste 'sapiens' hat seine Grenzen gezeigt und das zweite wurde geboren.
In dem Augenblick, wo man die Grenzen fühlt, steigt die Frage auf: Was bin ich nun wirklich als menschliches Wesen, was habe ich eigentlich für Möglichkeiten des Wissens, wie weiß ich in der Wissenschaft? Blicken wir nach außen, sehen wir eine objektive Welt, die uns eine Ganzheit voller Rätsel serviert. Blicke ich dann mit dem inneren Auge auf mich selbst, dann ist das Rätsel ganz und gar nicht gelöst. Das Rätsel, das ich da wahrnehme, erscheint ebenso unauflöslich wie die Rätsel in der Welt.

Aber es gibt einen Punkt, auf den wir im inneren Leben blicken können, wo es kein Rätsel gibt, kein einziges. Und dies ist unser Vermögen, Rätsel aufzugeben und zu lösen, Fragen zu stellen und Antworten zu geben. Wäre dieses Vermögen auch ein Rätsel, dann gäbe es keinerlei Möglichkeit, auch nur irgendetwas zu wissen. In diesem Punkt finden wir schließlich das zweite 'sapiens', es ist das Bewusstwerden, dass es einen kleinen Punkt im Universum gibt, den wir absolut sicher kennen, und das ist das Vermögen, Selbsterkenntnis im Denken zu erwerben.

Intellektuelle Bescheidenheit
Der Ouroboros ('Schwanzverzehrer') symbolisiert die Kontinuität des Lebens, die Unsterblichkeit, das Ganze des Daseins und die Ganzheit oder Einheit des Alls. Es ist die Erneuerung des Denkens durch das Denken des Denkens, es ist die Weisheit des Weiseseins, es ist die 'Anschauung des Denkens'.Intellektuelle Bescheidenheit Von Mieke Mosmuller

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