Es kann eine tragische Entdeckung im Leben werden, wie passiv wir modernen Menschen in unserem inneren Leben sind. Der Körper kann natürlich auch passiv sein, aber nichts ist mit der Passivität des inneren Lebens zu vergleichen. In einem witzigen Vergleich schilderte Rudolf Steiner den Lehrern der Waldorfschule einmal das Folgende:
'Man muß mit, man muß das Denken in Bewegung setzen; in dem Augenblicke, wo man das tut, kommt man mit. Da hört auf dasjenige, was ich modernes Hellsehen nennen möchte, etwas Wunderbares zu sein. Daß das immer noch als etwas besonders Wunderbares erscheint, kommt daher, daß die Menschen noch nicht die Energie entwickeln wollen, Aktivität in das Denken hineinzutragen. Es ist oft zum Verzweifeln in dieser Beziehung. Man fühlt manchmal, wenn man diese Forderung der Aktivität an das Denken stellt, daß es dem Betreffenden zumute ist wie einem Manne, der im Straßengraben lag, seine Hände und Beine nicht bewegte, nicht einmal seine Augenlider aufmachte, und von einem Vorübergehenden gefragt wurde: Warum sind Sie so traurig? - Er antwortete: Weil ich nichts tun möchte. — Der Fragende war erstaunt darüber, denn der Liegende tat anscheinend schon seit langer Zeit nichts. Aber er wollte noch mehr «nichts tun»! Da sagte der Fragende: Ja, Sie tun ja wirklich nichts! - Darauf bekam er die Antwort: Ich muß ja die Umdrehung der Erde mitmachen, und ich möchte selbst das nicht tun. So kommen einem diejenigen vor, die durchaus nicht Aktivität in das Denken hineintragen möchten, die Kraft, die allein aus dem Menschen heraus wiederum einen Zusammenhang bringen kann zwischen der Menschenseele und dem göttlich-geistigen Weltinhalt.' (GA 217, S. 126)
Es ist also nicht nur die Passivität selbst, es ist auch die Weigerung, aktiv zu werden. Es ist sogar die Weigerung, zur Einsicht bezüglich der Notwendigkeit zu kommen, im Denken aktiv zu werden. Es ist eine starke Kraft wirksam, die das Menschengeschlecht in Passivität halten will, sodass alle Menschen vergessen, dass es eine Freiheit im Denken geben könnte. Es könnte nämlich ein Wille entstehen, dasjenige zu denken, was man selbst als Wahrheit und Richtigkeit einsieht, ohne von all den Gedanken geführt zu werden, die für unser Denken vorbereitet werden.
Im aktiven Denken selbst wohnt die Wahrheit, die Aktivität ist die Wahrheit. Es besteht keinerlei Gefahr, wenn Menschen im Selbst-Denken aktiv werden. Sie würden genau wissen, was sie denken, und sie würden dadurch nicht gegen die spirituelle Wahrheit sündigen, die im aktiven Denken wohnt. Das Missverständnis, dass aktives Denken ein Denken sein könnte, das nicht von Moralität geführt wird, weil der Denker aus egoistischen Zielen heraus denken würde, ist der ernsteste Mangel an Verständnis für das menschliche Denken. Wirklich aktives Denken folgt den ,Gesetzen’ der Wahrheit. Natürlich nicht in einer direkten Linie, nicht, ohne je Fehler zu machen, aber in einer gesunden Entwicklung hin zur universellen Wahrheit. In diesem Sinne können wir das aktive Denken als ein gesundendes Phänomen ansehen, das ich als Arzt mit Hilfe des folgenden Symbols ausdrücken möchte: Äskulap mit dem Stab des Merkur.
Museum in Epidaurus (Griechenland)
Metamorphose des Denkens II Von Mieke Mosmuller