Am letzten Samstag habe ich in Burcht bei Antwerpen über das „Denken“ des Computers gegenüber dem menschlichen Denken gesprochen. Um das tun zu können, ist es natürlich notwendig, dass an einem solchen Tag ein Studium der Wirkensweise des Computers zugrunde liegt. Das ist ein außerordentlich interessantes und lehrreiches Thema. Weil jeder mit dem Apparat arbeitet – ich natürlich auch –, will ich hier ein paar Worte darüber sagen. Denn so, wie der heutige Mensch ohne Weiteres annimmt, dass DNA genau das ist, was die Wissenschaft uns lehrt, ohne selbst weiter zu untersuchen, was das Wissen darum nun genau umfasst, ist auch der Computer, der iPad oder das Smartphone unsere verlängerte Wissensquelle geworden, ohne dass noch ein Bewusstsein darüber besteht, was der Apparat genau macht. Der Computer hängt insofern mit der DNA zusammen, als das erworbene Wissen von der DNA und die Erforschung des individuellen Musters ohne Computer nicht möglich ist.
Das menschliche Denken führt zu Einsicht, zu Begriff. Das ist etwas, was gleichsam das Ziel jedes Denkprozesses ist. Einsicht ist viel mehr als nur eine Feststellung oder ein Resultat einer komplizierten Berechnung. Wenn man eine Ellipse sieht und man weiß, dass eine solche Form „Ellipse“ heißt, dann kann man jedes Mal, wenn man eine solche Form sieht, feststellen, dass es eine Ellipse ist, auf den ersten Blick. Aber das ist noch lange nicht eine Einsicht. Auch die Definition ist noch nicht die Einsicht:
Eine Ellipse ist die Menge aller Punkte in einer Ebene, für die die Summe der Abstände zu zwei gegebenen Punkten, den Brennpunkten, gleich ist.
Eine solche Definition kann man auswendig lernen, man kann die Prozedur der Konstruktion durch und durch kennen und ausführen – und dennoch nicht einsehen, was eine Ellipse nun eigentlich ist. Wenn man einmal in sich selbst kennengelernt hat, was Einsicht ist, dann erkennt man auch, wenn sie nicht da ist.
Wenn man die Einsicht hat, kann man von da ausgehend ein Instrument ersinnen – wie einen Zirkel für das Ziehen eines Kreises –, mit dem man ganz aus der Einsicht heraus die Form „ziehen“ kann. Man kann dazu ein Brett nehmen und die Brennpunkte mit zwei Nägeln markieren. Dann nimmt man einen Faden, den man in den Brennpunkten befestigt, und zieht mit einem Stift den Faden straff. Nun kann man eine Linie zeichnen, die nicht anders kann, als eine Ellipse zu werden. Auch dies kann man jetzt nachmachen, ohne Einsicht. Doch man kann sich nicht das Instrument ausdenken, ohne die Einsicht zu haben.
Nun kann man gleichsam ratlos durch die Tatsache werden, dass es Menschen gibt, die nicht einsehen (wollen), dass man einen Computer sehr gut dazu programmieren kann, eine Ellipse zu zeichnen – dass die Einsicht in das Wesen der Ellipse jedoch ausschließlich bei dem Menschen existiert, der dieses Programm denken muss. Natürlich kann ein Programmierer auch wiederum Anweisungen befolgen, ohne selbst die Einsicht zu haben. Doch im Ursprung des ganzen Prozesses steht doch der Mensch, der die Einsicht hat. Dazu kann ein Computer nicht programmiert werden. Es gibt viele Menschen, die dies von sich aus unmittelbar bestätigen werden, andere werden meinen, dass ein Computer so etwas sehr wohl lernen könne.
Wichtig jedoch wäre es, dass der Mensch wirklich aus Einsicht auch darüber entscheiden könnte: Ein Mensch hat das Vermögen zur Einsicht; ein Computer, wie komplex auch immer, kann zu scheinbar unnachahmlichen intellektuellen Leistungen gebracht werden – Einsicht wird der Apparat nicht haben können, auch nicht mit „Biochips“, oder was die Zukunft noch alles verborgen hält. Warum nicht? Einsicht beruht nicht auf einer Prozedur, einem Prozess, sondern sie ist eine gnadenvolle Öffnung für den Geist, eine „Epiphanie“. Jeder Einsicht, sei sie noch so einfach, übersteigt jede Prozedur, auch wenn sie aus einer solchen hervorgeht. Einsicht ist Intuition des Geistes. Und das Werkzeug des Geistes ist das „ICH“.
Agrippa von Nettesheim (1486 - 1535)Prozess und Einsicht Von Mieke Mosmuller