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Schenkende Tugend

Schenkende Tugend

Von

Mieke Mosmuller

18-11-2015 3 Kommentare Print!

Es scheint eine Moral-freie innerliche Tat zu sein, dieses Erfassen der inneren Aktivität des Denkens durch das Denken. Es scheint eine technische, philosophische Fähigkeit zu sein, die erworben werden kann, wenn man es nur stark genug versucht. Nichts ist jedoch weniger wahr. Uns selbst aus unserem inneren Mittelpunkt zu befreien und einen Platz auf einem Umkreis einzunehmen, der auch noch ständig in Bewegung ist, dies verlangt eine Überwindung der Angst vor dem bewussten Verlassen des Leibes – das ist etwas, was wirklich eine Übereinstimmung mit dem Sterben hat. Natürlich ist es nicht der Tod, der darauf folgt, aber das Gefühl ist schon so – das Verlassen des Gehirns, das uns im Denken, im Bewusstsein ein Halt ist. Es ist der erste Abgrund, der überbrückt werden muss, und wir brauchen Tugenden, um dies zu können.


Das Ich in der Seele braucht eine Kraft in sich, um bewusst außerhalb des Gehirns sein zu können. Diese Kraft ist nun gerade die ,Tugend’, die moralische Kraft. Im Seminar in Burcht bei Antwerpen studierten wir letzten Samstag die Tugenden, wie sie von Platon, Aristoteles, Paulus, Thomas von Aquin und Rudolf Steiner gelehrt wurden. Rudolf Steiner gab in seiner ,Philosophie der Freiheit’ eine Art ,Organon’ der Freiheit und der Moralität. In seinem Werk über Friedrich Nietzsche gibt er eine grundlegende Bedingung für die freie Moralität an. Er ist sicher kein Nietzsche-Anhänger, aber ein wichtiger Punkt im Werk von Nietzsche stimmt mit Steiners Einsicht in die freie Moralität überein. Es ist der Überfluss an Vitalität, der ein Kriterium für das Gute ist. Güte gibt Kraft und Macht, Freude und Frieden. Das Böse, in dieser Perspektive betrachtet, geht mit Verlust an Vitalität, mit Vernichtung, mit Leid und Streit einher. So könnten wir Güte als eine Lebenskraft betrachten, die Nahrung braucht. Das Bedürfnis nach dieser Nahrung wird auf dieselbe Art wie alle instinktiven Bedürfnisse empfunden. Der Mensch hat einen erhabenen menschlichen Instinkt. Steiner schreibt darüber folgendes (GA 5, S. 89):

,Weil der dionysische Geist aus sich selbst alle Antriebe seines Tuns entnimmt und keiner äußeren Macht gehorcht, ist er ein freier Geist. Denn ein freier Geist ist derjenige, der nur seiner Natur folgt. Nun ist allerdings in Nietzsches Werken nur die Rede von Instinkten als den Antrieben des freien Geistes. Ich glaube, daß hier Nietzsche mit einem Namen eine Reihe von Antrieben zusammengefaßt hat, die eine mehr ins Einzelne gehende Betrachtung erfordern. Nietzsche nennt Instinkte sowohl die bei den Tieren vorhandenen Triebe zur Ernährung und Selbsterhaltung, wie auch die höchsten Antriebe der menschlichen Natur, zum Beispiel den Erkenntnistrieb, den Trieb, nach sittlichen Maßstäben zu handeln, den Trieb, sich an Kunstwerken zu ergötzen und so weiter. Nun sind zwar alle diese Triebe Äußerungsformen einer und derselben Grundkraft. Aber sie stellen doch verschiedene Stufen in der Entwickelung dieser Kraft dar. Die moralischen Antriebe zum Beispiel sind eine besondere Stufe der Instinkte. Wenn auch zugegeben werden kann, daß sie nur höhere Formen sinnlicher Instinkte sind, so treten sie doch im Menschen auf eine besondere Art ins Dasein. Dies zeigt sich darin, daß es dem Menschen möglich ist, Handlungen zu vollführen, die nicht unmittelbar auf sinnliche Instinkte zurückzuführen sind, sondern nur auf jene Antriebe, die eben als höhere Formen des Instinktes zu bezeichnen sind. Der Mensch schafft sich Antriebe seines Handelns, die nicht aus seinen sinnlichen Trieben abzuleiten sind, sondern nur aus dem bewußten Denken. Er setzt sich individuelle Zwecke vor, aber er setzt sich diese mit Bewußtsein vor. Und es ist ein großer Unterschied, ob er einem unbewußt entstandenen und erst hinterher in das Bewußtsein aufgenommenen Instinkte oder einem Gedanken folgt, den er von vornherein mit vollem Bewußtsein produziert hat.’

Nach dem Lesen von Steiners Buch über Nietzsche schrieb ich: Das Ausleben der Willkür des Individuums ist bei Steiner sehr wohl möglich, weil da das gute Ich Willkür sein kann. Bei Nietzsche kann das Vernichtungs-Ich, das böse Ich, schließlich der Träger der Willkür werden, weil kein Unterschied in den verschiedenen Stufen des Instinkts gemacht wird. Das böse Ich will alles vernichten, was nicht ,ich’ ist.

Hier folgt ein Zitat aus dem Werk von Nietzsche, in dem wir ahnen können, was es war, das Steiner an Nietzsche so angezogen hat.
Aus: Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Über die schenkende Tugend.
,Wenn euer Herz breit und voll wallt, dem Strome gleich, ein Segen und eine Gefahr den Anwohnenden: da ist der Ursprung eurer Tugend.
Wenn ihr erhaben seid über Lob und Tadel, und euer Wille allen Dingen befehlen will, als eines Liebenden Wille: da ist der Ursprung eurer Tugend.
Wenn ihr das Angenehme verachtet und das weiche Bett, und von den Weichlichen euch nicht weit genug betten könnt: da ist der Ursprung eurer Tugend.
Wenn ihr Eines Willens Wollende seid, und diese Wende aller Noth euch Nothwendigkeit heißt: da ist der Ursprung eurer Tugend.
Wahrlich, ein neues Gutes und Böses ist sie! Wahrlich, ein neues tiefes Rauschen und eines neuen Quelles Stimme!
Macht ist sie, diese neue Tugend; ein herrschender Gedanke ist sie und um ihn eine kluge Seele: eine goldene Sonne und um sie die Schlange der Erkenntnis.’

Schenkende Tugend 
Kyriotetes und Exusiai (Dominationes et Potestates), Kuppel des Baptisteriums in Florenz. Die Kyriotetes sind die Wesen, von denen die eigentliche ,schenkende Tugend’ stammt.Schenkende Tugend Von Mieke Mosmuller

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Kommentare
  • Von Gerheart Bandorf @
    Ein sehr zutreffender Text!
  • Von @
    Is het mogelijk aan te geven vanuit welke positie een vrije handeling wordt gerealiseerd? Is het vatten van de innerlijke activiteit van het denken door het denken hier de bron? En wat is de beste manier om dit laatste te realiseren? Is dat de studie van een boek, het realiseren van een begrip? (Bijvoorbeeld een Cirkel, of een deugd). De tekst van Nietsche is prachtig en doet vermoeden waar het heen wil....Hartelijke groet!
    • Von Mieke Mosmuller @
      Ik zal daar in de volgende tekst op trachten te antwoorden... Hartelijke groet, Mieke