In den vorhergehenden Texten habe ich von einem optimistischen Gesichtspunkt aus die sozialen Verhältnisse beschrieben. Es ist eine idealistische, aber auch eine realistische Möglichkeit, um wahrhaftige Liebe zwischen den Menschen zu entwickeln. Aber es ist natürlich ebenso gut möglich, einen pessimistischen Standpunkt einzunehmen und Finsternis in dem sozialen Zustand zu sehen, den man global wahrnimmt. Innerlich können wir sehr gut fühlen, dass wir das Talent haben, als Menschen in Brüderlichkeit, in Gleichheit und in Freiheit neben- und miteinander zu leben. Aber wir sehen natürlich sehr wohl, dass dieses innerlich gefühlte Ideal gewiss nicht äußerlich realisiert wird. Das Leben des Alltags liefert allerlei Geschehnisse, die es unmöglich machen, die ruhige Seele zu bewahren, die für diese Verwirklichung nötig ist. Warum verfinstern diese alltäglichen Geschehnisse unsere Ideale?
Der Mensch träumt oder schläft, er träumt, während er denkt, fühlt ... schläft, wenn er handelt, er tut alles automatisch. Wenn man aufmerksam schaut, sieht man, dass fast jeder so ein bisschen vegetiert, ab und zu durch etwas Lästiges (ganz ab und zu auch durch etwas Schönes) gereizt, irritiert. Er vergisst den Nächsten, erinnert sich nur noch an sich selbst – und so weiter...
Mit dem Blick auf den kleinen Apparat in der Hand – der aussieht wie ein Gehirn, das in der Hand liegt, bequem, um draufzuschauen, damit zu kommunizieren, allerlei Kenntnisse zu erwerben. Ein sichtbar mechanisches Ego, das die Aufmerksamkeit von der wirklichen Welt abzieht und auf eine virtuelle Welt des Ego lenkt.
Vergessen sind alle menschlichen Möglichkeiten, denn wir wollen sie vergessen. Alle Menschen werden Brüder? Nein, sie scheinen eher Feinde zu werden, einer gegenüber dem anderen.
Weit weg lebt noch eine Erinnerung an Liebe. Was war das noch gleich? Erotik und sexuelle Liebe sind noch ganz und gar da, und manchmal, in seltenen Momenten, gibt es so etwas wie Sympathie, Anziehungskraft, Liebe. Einander gegenübersitzend an einem Tisch in einem Restaurant mit einem schönen Glas Wein, der Apparat liegt kurz vergessen an der Seite... Plötzlich steigt ein altmodisches Gefühl auf, eine Art Mut, das Leben, das man wirklich sucht, zu leben, ein Leben von Liebe und Freiheit. Doch am nächsten Tag ist es schon wieder weg, und die Hast übernimmt wieder das Ruder.
Eine Demenz scheint die Menschenrasse zu ergreifen.
Was haben wir vergessen, dass es so schlimm geworden ist? Dass wir die Kontrolle über uns selbst verloren haben?
Wir haben das wache Gewahrsein, das Bewusstsein, die Aufmerksamkeit, die Achtsamkeit verloren. In der Demenz verschwindet es allmählich, unbemerkt. Das Erste, was verschwindet, ist das Selbstbewusstsein, man ertrinkt in sich selbst, ohne sich selbst noch sehen zu können. Später verliert sich auch das Bewusstsein von allem Anderen. Übrig bleiben der Traum und der Schlaf.
Nach all meinen positiven und optimistischen Texten musste ich nun dies schreiben. Natürlich habe ich ein extremes Bild von Finsternis geschildert. Doch es ist sehr wohl eine Seite unserer Welt und der Menschen.
Die Frage ist: Wie gewinnen wir wieder die Aufmerksamkeit, das Bewusstsein, das klare wache Denken – die Freiheit?
ZZZZZzzzzzSozialer Pessimismus Von Mieke Mosmuller