In Europa selbst haben wir es natürlich auch mit Gruppen zu tun, die in Europa Ordnung schaffen wollen und dann auch erhalten wollen. Es gab einen Artikel im Europäer, einer Zeitschrift, die sich sehr um Europa bemüht, über zwei bekannte Gruppierungen, die in Europa aktiv sind und die sich nach Rudolf Steiner in den unteren Rängen, in den unteren Graden diametral gegenüberstehen, wo aber, sobald der dritte Grad überschritten ist, diese beiden Gruppierungen tatsächlich zusammenarbeiten. Das sind zum einen die Freimaurer und zum anderen die Jesuiten. Das Interessante an diesem Artikel im Europäer ist, dass er ein sehr aktuelles Thema anspricht, nämlich:
Im Januar 2019 veranstalteten die Jesuiten in Brüssel einen Kongress mit dem Titel "Auf der Suche nach der Seele Europas". Es wurde eine Gebetswoche und eine Diskussionsrunde zum Thema "Auf der Suche nach der Seele Europas" abgehalten. Am 10. April 2019 veranstaltet ein bestimmter Freimaurer-Orden in Straßburg einen Kongress mit dem Titel L'Europe à la recherche de son âme: Europa auf der Suche nach seiner Seele. Das war am 10. April. Am 12. und 13. April fand in Berlin eine Tagung statt, und dort hielten die besten - so steht es hier - Vertreter der europäischen Institutionen einen Kongress oder eine Tagung mit dem Titel "Eine Seele für Europa", Konferenz 2019, ab. Bis zum 26. Mai fanden die Europawahlen statt; vom 23. bis 25. August 2019 wurde in Brüssel eine Konferenz unter der Regie oder dem Schirm der Sektion für Sozialwissenschaften der Freien Hochschule abgehalten, deren Emblem das Emblem der Europäischen Union mit einem Pentagon-Dodekaeder in der Mitte war.
Die Dame, die diesen Artikel geschrieben hat, hält es für schrecklich, das ist klar, aber es ist natürlich schwierig, genau zu beurteilen, wie es war.
Es gab also drei wichtige Kongresse, die eigentlich alle den Titel "Auf der Suche nach der Seele Europas" trugen. Das ist natürlich hochaktuell. Aber die Frage ist, was ist damit gemeint? Wenn man sich näher mit diesen Gedanken beschäftigt, offenbaren sie viel.
Einmal waren wir in einem Hotel im Schwarzwald, weil wir dort einen Vortrag hatten, in Baden-Baden. Wir waren gerade beim Abendessen an einem Tisch und plötzlich kommt eine französische Dame zu uns, das Restaurant war voll, das kann passieren, aber die Dame blieb an unserem Tisch stehen - warum sie das tat, ist uns bis heute nicht klar, aber sie tat es - und sie begann, auf Deutsch über die Freimaurer in Frankreich zu referieren. Also bekamen wir eine Privatvorlesung. Sie sprach über die Loge du Grand Orient und warnte mit aller Kraft vor ihr und sagte: Alles, was in Frankreich geschieht - es war der damalige Präsident François Hollande -, steht unter der Leitung dieser großen Freimaurerloge. Passen Sie also auf: Was Sie sehen, ist nicht das, was Sie sehen! Die Freimaurerei steckt hinter allem.
Wir haben es dabei belassen, es ist schon etwas seltsam, wenn man so jemanden an den Tisch bekommt. Aber es ist natürlich interessant und gehört haben wir das alles, und wenn man dann später liest, dass in Frankreich jeder Präsident etwas mit der Freimaurerei zu tun hat, dann wird klar, dass man es zumindest in Frankreich mit einer bestimmten Art von charakteristischer Macht zu tun hat. Das kann man bis zu einem gewissen Grad auch ohne das Lesen von Büchern oder Zeitungen erfahren.
Wir waren schon mehrmals in Chartres, um ein Seminar über die Kathedrale zu geben, das in dem Hotel hinter der Kirche stattfand. Aber beim ersten Mal hatten wir ein Hotel im unteren Teil der Stadt, sodass man immer einen langen Weg bis zur Kathedrale hochlaufen musste, und dann kam man an bestimmten Regierungsgebäuden vorbei, der Präfektur. Wenn man die sieht, sieht man die französische Macht, dafür muss man nicht die Zeitung lesen oder gar Steiner lesen. Anhand der Bauweise und der Art und Weise, wie sie funktioniert, kann man mit eigenen Augen sehen, um welche Art von Macht es sich handelt. Frankreich und Europa.
Dann haben wir natürlich eine tragische Situation in Deutschland, wo die Menschen, deren Aufgabe es war, die Bewusstseinsseele mit dem Ich zu entwickeln, durch die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs bis ins Mark beschädigt wurden. Man kann nicht sagen, dass es nur fünf oder zwölf Jahre waren und dann war es vorbei und hat keine Folgen, denn natürlich hat es welche. Das hat weitreichende Folgen, und man sieht, dass das, was Rudolf Steiner in dem Aufruf an das deutsche Volk und an die Welt der Kultur getan hat - das war nach dem Ersten Weltkrieg -, dass sozusagen das Gegenteil passiert ist. Das, was er dem deutschen Volk abverlangt hat, ist nicht geschehen - wir reden ja nicht über Einzelne, sondern über das Ganze -, sondern es ist etwas anderes geschehen, was natürlich Folgen hat. Und wenn nach dem Krieg von einem "Wirtschaftswunder" die Rede ist, wissen wir natürlich, dass Deutschland nicht darüber nachdenkt, was die Aufgabe des deutschen Volkes ist. Man spürt dann die unterschiedlichen Mächte in Europa selbst, und man kann sich vorstellen, dass es Leute gibt, die sagen: Schafft die Europäische Union ab, denn das ist nur ein neuer Machtblock, in dem die Jesuiten auf der einen Seite und die Freimaurer auf der anderen Seite, aber letztlich gemeinsam, tatsächlich das Sagen haben und in dem auch die Anthroposophen ein Fähnchen schwenken. Wenn man dieses Bild auf sich wirken lässt, könnte man sagen: Ja, sie ist nur eine Last, diese Europäische Union. Bitte, lassen Sie die Menschen zu ihrer eigenen Nationalität und ihren eigenen Gesetzen zurückkehren und lassen Sie den Seelen und Geistern der Menschen wieder freien Lauf. Das sage ich nicht, aber das ist die Sichtweise der Menschen. Was man auf der anderen Seite sieht, ist - und das sehen Sie natürlich auch -, dass es eine sehr starke Tendenz zum Populismus, zur Volksnatur, zur Kultur des Blutes, zur Fesselung durch den Faschismus und so weiter gibt - und dass wir dank der Europäischen Union eigentlich - noch - einen gewissen Schutz davor haben. Obwohl ich sagen muss, dass es mich ein wenig an eine Stelle in der Apokalypse erinnert, wo vier Engel auf den vier Ecken der Erde sitzen und die Situation sozusagen einfrieren, also eine Zeit lang zurückhalten, und dann an einem bestimmten Punkt freigelassen werden, um ihre Aufgabe zu erfüllen, und das ist keine angenehme für die Menschheit. Es scheint also so zu sein, dass wir in der Europäischen Union eine Art Aufschub für etwas haben, das uns vielleicht gerade wegen der Europäischen Union irgendwann wieder treffen könnte.
Ich habe darum gebeten, dieses Bild des Menschheitsrepräsentanten mitzunehmen, denn wenn Sie fragen: Was ist eigentlich die Aufgabe Europas? Dann sehen wir es in diesem Bild ausgedrückt, und wir sehen auch die Gefahr darin ausgedrückt - und deshalb sollten wir eigentlich den Appell Rudolf Steiners an das deutsche Volk und an die Kulturwelt in uns wiederholen, immer und immer wieder. Man sollte sich nicht so sehr mit der Frage aufhalten: Was ist die Seele Europas? Man kann es wirklich erleben, wenn man an das Mädchen denkt, das nach Kreta entführt wurde und dann mit der Kultur in das Abendland versetzt wurde. Wir können sagen: Die griechische Kultur ist in der Tat die Kultur, auf der die mitteleuropäische Kultur beruht. Es ist nicht die römische, sondern die griechische Kultur. Und so erfährt man, was Europa ist, die Seele Europas.
Aber was ist die Aufgabe der Menschen in Europa? Was müssen wir als Menschen eigentlich tun? Darüber sollten wir nicht jährlich, monatlich, wöchentlich oder gar täglich nachdenken, sondern kontinuierlich, damit wir wissen: Wenn Europa, wenn Mitteleuropa, wenn es uns nicht wirklich gelingt zu klären, was unsere Aufgabe hier ist, dann wird die Weltordnung, die andere Gruppen etabliert haben, die Oberhand gewinnen und dann wird ein Schicksal walten.
Goethe und Schiller, Weimar
Was ist die Identität Europas? Von Mieke Mosmuller