Der Mensch ist ein wunderbares Geschöpf. Wir sind nicht nur imstande, zu denken, Wissen zu erwerben und Weisheit zu entwickeln. Wir sind ebenso mit Möglichkeiten begabt, Fähigkeiten zu entwickeln. Im Tierreich sehen wir auch Fähigkeiten, diese sind angeboren, und sie sind instinktiv. Eine Biene hat großartige instinktive Fähigkeiten, Bienen brauchen nicht zu lernen, sie werden damit geboren, und sie haben es nicht nötig, zu wissen, was sie tun, um es perfekt tun zu können.
Fähigkeiten beim Menschen sind viel universeller, sie existieren als Anlage, einen bestimmten Sachverstand zu entwickeln. Ein Konzertviolinist ist mit einer Anlage geboren, Violine zu spielen. Aber er könnte auch alt werden, ohne je dieser Konzertviolinist geworden zu sein. Die Anlage muss im Leben entwickelt werden, durch hartes Studium und Übung. Eine Biene braucht nicht zu üben.
Ein Schneider hat ebenfalls seine angeborenen Talente, aber auch er muss dieses Talent zu einer Fertigkeit, zu Sachverstand und Fachkompetenz entwickeln. Je mehr er danach strebt, perfekte Kleider zu machen, desto mehr wird er zu einem geschickten Schneider. Die Anlage muss trainiert werden, bis sie Fachkönnen wird, bis das Talent Macht über die Hände, die Finger, die Gliedmaßen erlangt hat. Das ist ein sehr interessantes Thema, um weiter darüer nachzudenken.
Der Mensch ist geboren, um Fertigkeiten zu entwickeln, fachliches Können, das weit über das hinausgeht, was das Gehirn tut, denn Fertigkeiten erstrecken sich bis in die Gliedmaßen, und die Hände werden gleichsam ‘voll von Gehirn’, ‘voll von Bewusstsein’. Ist das nicht eine gewaltige Bewusstwerdung? In gewissem Sinne könnte man sagen, dass Fertigkeit mehr ist als Wissen. So könnte man zum Beispiel mit Verwunderung auf einen Maurer schauen, der eine besondere Kenntnis des Materials hat, welches er verwendet, und bei dem dieses Wissen bis in seine Hände, seine Finger reicht.
Eine Ur-Geschichte über den Gegensatz zwischen Weisheit und praktischer Fertigkeit ist die Tempellegende. In dieser Legende wird von Salomos Tempelbau erzählt. Salomo, der weise König, braucht die Fertigkeiten von Hiram, um diesen Tempel bauen zu können. In der Legende wird die Ur-Eifersucht des weisen Menschen auf den Menschen mit einem Fachkönnen erzählt. Was ‘Prometheus dem Menschen gebracht hat’, scheint in Hiram verkörpert zu sein: Es ist die Fertigkeit, die Kräfte der Elemente zu bemeistern, die Kräfte von Erde, Wasser, Luft und Feuer.
Salomo, mit all seiner Weisheit, ist nicht imstande, einen Tempel zu bauen. Die Königin von Saba kommt und:
‘während sie alles begeistert bewunderte, nahm ihre eigene Schönheit das Herz des Königs so sehr gefangen, dass er ihr schon nach kurzer Zeit seine Hand anbot. Erfreut, den stolzen Mann erobert zu haben, gab sie ihm ihr Jawort. Bei ihrem zweiten Besuch des Tempels wiederholte sie den Wunsch, den geheimnisvollen Baukünstler zu sehen, der so Herrliches vollbracht. Salomo verzögerte die Erfüllung dieses Wunschs möglichst lange, musste sich jedoch schliesslich dazu bequemen, Hiram Abiff vorführen zu lassen. Dieser warf der Königin von Saba einen Blick zu welcher ihr Innerstes erbeben liess. Alsbald gewann sie ihre Fassung wieder und nahm Hiram gegen den Unwillen und die Eifersuchtsanwandlung Salomos in Schutz. Als sie die beim Tempelbau beschäftigten Arbeitermassen beisammen zu sehen verlangte, erklärte der König dies für unmöglich. Da stieg Hiram auf einen Stein, um besser gesehen zu werden, machte in der Luft mit der rechten Hand das symbolische Tau-Zeichen und sofot eilten von allen Seiten sämtliche Arbeiter herbei. Die hierüber höchst erstaunte Königin bereute insgeheim, die Werbung des Königs angenommen zu haben, denn sie entbrannte in Liebe zu dem mächtigen Architekten.’ *
In diesem Bild wird deutlich, wie grandios Fertigkeiten sein können, wie sie weit über die Weisheit und die Schönheit hinausgehen können und wie dies Eifersucht und Neid verursachen kann.
Paradiestüren im Dom von Florenz, Ankunft der Königin von Saba.* Für den weiteren Text der Tempellegende siehe:
http://tempellegende.wikispaces.com/Bij+HeckethornDie Großartigkeit der Ankunft der Königin von Saba wird bei G. F. Händel hörbar:
https://www.youtube.com/watch?v=zfxKt6fJzpAWeisheit und Sachverstand Von Mieke Mosmuller