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Wie subjektiv ist das 'Ich'?

Wie subjektiv ist das 'Ich'?

Von

Mieke Mosmuller

05-11-2014 2 Kommentare Print!

Wenn man sich in das Phänomen des menschlichen Ich vertieft, tritt unmittelbar die Frage auf, wie man dieses Ich dann untersuchen soll. Wissenschaftlich kann eine Untersuchung nur dann sein, wenn sie einen objektiven Charakter hat. Das Ich ist das Subjekt selbst, also kann es eigentlich nicht untersucht werden – außer in allgemeinem Sinne. Doch das ist unsinnig, denn das Merkmal des Ich ist nun gerade das vollständig Individuelle. Das würde bedeuten, dass eine Untersuchung des Ich unmöglich ist, weil sie einerseits immer subjektiv sein wird, anderseits subjektiv sein muss.


Sicherheit über den Sinn einer solchen Unternehmung wird man jedoch erst erlangen, wenn man es einmal versucht. Es braucht nicht gleich schon am Anfang einen wissenschaftlichen Charakter zu haben. Die erste Frage, die dann auftaucht, ist: Wozu sagt ein Mensch „ich“? Was meint er, wenn er dieses Wort verwendet?

Wenn man nicht auf sein Ich schaut und dieses Wort aus Gewohnheit ausspricht, dann weiß man natürlich sehr wohl, was man damit sagt. Sobald man sich zu fragen beginnt, scheint der Spiegel leer. Das kommt daher, weil sich das Ich unmittelbar zum Zentrum des Fragens verschiebt – und damit ist das Untersuchungsobjekt im Subjekt verschwunden, von ihm aufgesogen. Es scheint zunächst so, dass das Ich kein Objekt sein könne und dass man also nur ohne klares Bewusstsein wissen könne, was man meint, wenn man „ich“ sagt. Auf diesem Weg kommt man nicht weiter.

Man kann sich jedoch auch fragen: Ist irgendwo ein innerliches Etwas zu finden, das eine Ordnung im Chaos des Erlebens zu halten versucht? Ist dieses „Etwas“ dasselbe wie alles, was man denkt, fühlt und tut? Es ist doch merkwürdig, dass man uneins mit seinen eigenen Gedanken, Gefühlen und Taten sein kann.

Wenn wir auf das Tierreich schauen, finden wir solche „Meinungsverschiedenheiten“ nicht. Ein Tier lebt aus dem Instinkt heraus, und Instinkt ist niemals gegen den Instinkt. In der Menschenwelt gibt es jedoch nicht nur Meinungsunterschiede zwischen den Menschen untereinander; es gibt auch intern einen Unterschied. Man denke nur an das innere Gespräch nach einer etwas schwierigen Begegnung. Es blüht dann ein „innerer Monolog“ auf, worin es jemanden gibt, der so gehandelt hat, wie man es getan hat, und einen anderen, der dies bereut. Dieser findet zum Beispiel, dass Jener etwas mehr zur Sache hätte gehen können – oder gerade etwas milder hätte sein können.

Oder man hat eine bestimmte Arbeit erledigt und fragt sich im Nachhinein, ob man es denn so getan hat, wie man es tun wollte. Vielleicht kommt man zu dem Schluss, dass es nur halbe Arbeit war. Dann hat das „Ich“ eine Meinungsverschiedenheit mit dem „Ich“. Man kann nicht sagen, dass der, der die Arbeit gemacht hat, ein Anderer ist als der, der sie nachher zurückweist. Der Erste sagt zu sich selbst „ich“, der Zweite tut dies auch. Ist es nicht so, dass der Zweite dann den Ersten zum Objekt hat? Hat das „Ich“ sich dann nicht aus sich selbst befreit, um sich selbst unter die Lupe zu nehmen?

Es gibt ziemlich viele Theorien über diese Dualität. Aber können wir nicht einmal alle Theorie vergessen und innerlich miterleben, was da geschieht? Von der Theorie her könnte man meinen, dass man danach streben müsse, allen Streit aufzugeben und sich auf ein spontanes Ich zu reduzieren. Oder man könnte meinen, man müsse dem zuschauenden „Ich“ die Alleinherrschaft zuschreiben, dessen Anforderungen zu erfüllen versuchen: Nie spontan tun, was einem einfällt, sondern immer zweifeln. Diese Theorien lassen wir also los, und wir versuchen, anzuschauen, was sich abspielt. Man beginnt dann, zu sehen, dass die Verwendung des Namens „Ich“ sehr unbewusst verläuft, dass es eine Zusammenfassung von allerlei ungesehenen inneren Prozessen ist, während das „Ich“ sich eigentlich außerhalb dieser Prozesse befindet.
 
Ist derjenige, der Hunger und Durst hat, „ich“? Ist derjenige, der Marathon läuft, „ich“? Ist derjenige, der den Ausländer als einen unerwünschten Mitmenschen ansieht, „ich“? Ist derjenige, der durch den Vorsprung eines Anderen – auf welchem Gebiet auch immer – frustriert ist, „ich“? Entspricht all dieser Egoismus dem „Ich“? Ego ist dies sicher. Aber steht dies auch immer in Übereinstimmung mit dem, was man meint, wenn man „ich“ sagt?

Wie subjektiv ist das 'Ich'?
Die Kathedrale in Chartres, West-Rose: Das Jüngste Gericht.Wie subjektiv ist das 'Ich'? Von Mieke Mosmuller

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Kommentare
  • Von Sina @
    Liebe Mieke, was möchten Sie diskutieren? Die Ausformung unseres eigenen Anteils an der Schöpfung, unsere eigene Intonation? Unser Wesen und unsere Erscheinung als eine anfänglich intensische Kontemplation? Es scheint die spannungsgeladene Betrachtung eines Ur-Wesens, welches aus sich heraustritt und welches mit jeder Ausformung sich erweitert und vergrößert, sobald es sich ent-spannt und in sich selbst bzw. in die Ausformung selbst harmonisch wieder eintritt. Ist es das? Sie sagen es ja selbst: "Ich" ist ein Sammel-Begriff. (Zitat: "... eine Zusammenfassung von allerelei ... Prozessen ...) Es sendet sich aus, harmonisiert in der nur scheinbar(!) dualistischen Betrachtung die Gestalt und sammelt sich wieder ein bzw. folgt der ausgeformten Betrachtung. Die Attribute, ob die Prozesse nun gesehen oder ungesehen, außen oder innen sind, lasse ich mal beiseite. Ja, "Ich" ist so gesehen letzten Endes ein Prozess. Sieht man es digital, dann geht der Prozess in vielen Einzel-Schritten. Sieht man es analog, ist es eine einzige ungeheure Ausdehnung mit ganz viel "Nichts" dazwischen. Liebe Grüße! Sina
  • Von @
    We can see how easy it is to confuse the "I" with the astral (egotism). Making this distinction is the work; distinguishing between feeling and will.