In den Blogtexten, die seit Mai 2014 erscheinen, versuche ich als erstes meine Sicht auf die Frage zu geben: „Was ist der Mensch?“. Von großer Bedeutung ist dabei das Bild des ursprünglichen Menschen, der am Beginn der Schöpfung steht. Dieser Mensch war in all seiner Vollkommenheit bereits da und ist das Bild dessen, was wir selbst als Menschen einst werden können. Solche Bilder leben in allen Religionen.
In der Kaballah, die ihren Ursprung in der esoterischen jüdischen Religion hat, finden wir die Darstellung der Beziehung zwischen dem Ewigen, dem Unsterblichen All, das Gott ist, und dem endlichen Sterblichen, in dem wir leben, das als Gottes Schöpfung angesehen wird. Diese göttliche Schöpfung wird Adam Kadmon genannt. Wir dürfen hier jedoch nicht an jenen Adam denken, der zusammen mit Eva aus dem Paradies verjagt wurde (Genesis 3), sondern an den ursprünglichen Adam im Paradies.
Der Mensch, der auf Erden lebt, nach der Austreibung aus dem Paradies, hat drei göttliche Eigenschaften verloren. Adam Kadmon stand durch diese drei Eigenschaften neben Gott, es sind: Weisheit, Herrlichkeit und Unsterblichkeit. Adam Kadmon stieg aus dem Göttlichen Haupt auf. Er ist von Gott nicht zu unterscheiden, ist jedoch zugleich neben Gott anwesend, als Schöpfung der Welt. Hier finden wir ein Gleichnis mit dem Beginn des Evangeliums nach Johannes, wo gesagt wird, dass das Wort, durch das alles geworden ist, bei Gott war und dass es Gott war.
Adam Kadmon können wir als die Schöpfung des Universums sehen lernen, die der ursprüngliche Mensch ist, der „Makroanthropos“ als Makrokosmos. Die Eigenschaften von Adam Kadmon sind die zehn Sephirot. Sie sind die grundlegenden Tugenden des lebendigen Universums, die universellen Genien, und so zugleich die möglichen Tugenden des Menschen.
Kether ist die Krone, die Herrschaft über alle Eigenschaften.
Hokhmah ist die Weisheit.
Binah ist die Intelligenz.
Diese drei bilden das Haupt van Adam Kadmon.
Tiferet ist die Schönheit, die Reinheit.
Hesed ist die Gnade, die Barmherzigkeit.
Geburah (Din) ist die Gerechtigkeit.
Diese drei bilden die Brust und die Armen von Adam Kadmon.
Jesod ist das Fundament.
Netzah ist die Ausdauer, die Festigkeit.
Hod ist die Glorie, der Ruhm.
Diese drei bilden den Bauch und die Beine von Adam Kadmon.
Mit seinen Füßen steht er auf Malkhut, das ist das Reich, das Königreich.
Hier sehen wir ein großartiges Bild dessen, wie wir, menschliche Wesen, jeder von uns, uns wahrmachen könnten – schließlich. Allmählich würden wir uns zu weisen, intelligenten, schönen, barmherzigen, gerechten, starken, ausdauernden und gloriosen Menschen entwickeln – und wir würden all diese moralische Genialität durch die Krone, die wir tragen würden, zu beherrschen wissen. Wir würden lernen, in einem Königreich von Königen zusammenzuleben.
Adam Kadmon, von Hildegard von Bingen (1098 - 1179)Adam Kadmon Von Mieke Momsuller