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Reines Denken

Reines Denken

Von

Mieke Mosmuller

12-08-2015 2 Kommentare Print!
In der Philosophie wurde die Existenz des reinen Denkens lange Zeit bezweifelt. In früheren Zeiten glaubten die Philosophen, dass es eine ‚prima philosophia’ gibt, eine Möglichkeit für den Menschen, in richtiger und wahrer Weise zu denken, völlig ohne Beeinflussung durch persönliche Gedanken. Wir können auch sagen: Es war kein Glaube, es war eine Fähigkeit oder eine Erfahrung. Weil die Persönlichkeit so stark aufkam, ging diese Fähigkeit des reinen Denkens, der Prima Philosophia, verloren, und ein moderner Denker findet sie natürlich nicht mehr.

In der Zeit des Idealismus, der Periode der Französischen Revolution und von Fichte und Hegel, wuchs die Sicherheit in Bezug auf die Existenz dieses reinen Denkens noch einmal mit starker Kraft – um dann, wie es scheint, zu verschwinden.

Nietzsche hat sich am Ende des neunzehnten Jahrhunderts innerlich zerrissen gefühlt, einerseits weil das rationale Denken – für das er Sokrates verantwortlich machte – alle menschlichen Fähigkeiten des Künstlerischen zerstörte; andererseits weil er das Christentum in seinen kirchlichen Formen wegen seiner Unwahrhaftigkeit ablehnen musste. So lehnte er die Vernunft und auch Christus ab – und hatte nichts mehr, nur noch seine geniale Kritik.

In derselben Zeit kam es zu einer Art von Auferstehung des reinen Denkens. Steiner schrieb seine ersten Bücher in einer Form von Denken, die wir wirklich reines Denken nennen müssen. Wenn wir die Worte ‚reines Denken’ wörtlich verstehen, so ist reines Denken Denken – und nichts anderes. Keine Wahrnehmung mit Wirkungen der Sinne, keine Erinnerungen, keine assoziativen Gedanken, sondern ein Denken in Ideen, das in einer logischen Weise geformt wird und von der Vernunft geführt wird. Es ist ein Denken, das frei von sinnlichen Eindrücken ist und vom Denker selbst initiiert wird, jede Idee wird willentlich geformt.

Warum sollten wir ein reines Denken entwickeln wollen? Weil wir hier unmittelbar ein spirituelles Denken finden. Es ist keine Theorie, wir können wirklich fühlen, dass der Körper nicht mehr mitspricht, dass es der Geist ist, der denkt, ohne jede Wahrnehmung des Leibes. Wir brauchen keine philosophischen, keine wissenschaftlichen Theorien, um zu beweisen, dass der Geist existiert – er ist eine Erfahrung geworden.


Das Erstaunliche dabei ist, dass wir den Geist durch das Denken gefunden haben und nicht, indem wir dieses zum Schweigen bringen. Wir entdecken, dass wir, sobald wir das Denken in Gang setzen, ohne durch irgendetwas oder irgendjemanden dazu gezwungen zu werden, reine Gedanken entwickeln, die uns von unserem Leib befreien.

Aber reines Denken ist nicht nur ein Denken, das durch angestrengtes Bemühen entwickelt werden muss. Es ist immer da, in jedem von uns. Man muss es nur finden – und, wenn man es gefunden hat, so vollständig wie möglich erkennen, um zu lernen, darin zu leben.

‚Es gibt Menschen, die an das Vorhandensein solcher Gedanken überhaupt nicht glauben. Diese meinen: der Mensch könne nichts denken, was er nicht aus der Wahrnehmung oder dem leiblich bedingten Innenleben herauszieht und alle Gedanken seien nur gewissermaßen Schattenbilder von Wahrnehmungen oder von inneren Erlebnissen. Wer dieses behauptet, der tut es nur, weil er sich niemals zu der Fähigkeit gebracht hat, mit seiner Seele das reine, in sich beruhende Gedankenleben zu erleben. Wer aber solches erlebt hat, für den ist es Erfahrung geworden, dass überall, wo im Seelenleben Denken waltet, in dem Maße, als dieses Denken andere Seelenverrichtungen durchdringt, der Mensch in einer Tätigkeit begriffen ist, an deren Zustandekommen sein Leib unbeteiligt ist. Im gewöhnlichen Seelenleben ist ja fast immer das Denken mit anderen Seelenverrichtungen: Wahrnehmen, Fühlen, Wollen und so weiter vermischt. Diese anderen Verrichtungen kommen durch den Leib zustande. Aber in sie spielt das Denken hinein. Und in dem Maße, in dem es hineinspielt, geht in dem Menschen und durch den Menschen etwas vor sich, an dem der Leib nicht mitbeteiligt ist.’ (Rudolf Steiner, ‚Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?’, GA 10, Anhang).

Reines Denken
Matthias Grünewald: Isenheimer Altar (Colmar)
Die Auferstehung als ein Bild für die Entwicklung eines bewussten reinen Denkens.Reines Denken Von Mieke Mosmuller

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Kommentare
  • Von Pauline Muradin @
    Wat een fijne tekst. Ineens is mij duidelijk wat het zuivere denken inhoudt en waarom het belangrijk is.
  • Von Josef Kaltenberger @
    Das reine Denken hat R. Steiner immer wieder beschrieben. Lange bevor ich diese Texte entdeckte, habe ich - während einer nicht langen Zeit meiner ersten 40er-Jahre - dieses Denken immer wieder versucht und ich möchte auch sagen, dass es auch nicht ungefährlich ist. Ich versuchte es so, dass ich einfache mathematische Beweise (im Finstern, manchmal im Wald sitzend) durchdachte, immer wieder, denn ich wollte herausfinden, bei welchem Denkschritt Evidenz auftrat. Mich hat das begeistert. Manchmal hatte dieses Denken (unentwegt eine halbe bis eine Stunde hindurch) so eine starke Wirkung, dass ich nachher richtige Begeisterungsstürme erlebte. Die Folge war, dass mich diese Erlebnisse bis heute sehr, sehr positiv beeinflusst haben, aber auch, dass ich bald Angst bekam, Angst vor Bücher, auf denen das Wort Philosophie vorkam. Diese Erfahrung zwang mich, diese Art des stark konzentrierten, hoch-aktiven Denkens wieder sein zu lassen. Nach einigen Wochen und Monaten verschwand wieder diese Angst. Aber viele Jahre hindurch konnte ich dieses Denken leider nicht mehr ergreifen, wahrscheinlich, weil ich unbewusst Angst vor den Folgen hatte. Mir ist die hohe Bedeutung dieses aktiven Denkens im Laufe von Jahren immer klarer geworden, allerdings ist mir längst nicht genügend klar, wie ich die Praxis gestalten soll, wie ich sozusagen die Rosse im Zaum halten soll - dieses Denken ist ja für mich ungemein faszinierend - , dass ich auch gesundheitlich im Gleichgewicht bleibe.
    Das wollte ich anmerken.-